Freilichttheater Moosegg

Un-heimeliges Dorf

Auf der Moosegg oberhalb von Langnau im Emmental wird derzeit die Tragikomödie «Dr Zuchthüsler» gespielt. Sie zeigt ein Dorf, in dem die Wahrheit lange unter die Räder kommt.
Warum habe ich keinen Namen wie die andern? Meiti besucht Tanner.
Exkursion im Wald: Mit der Wahrheit nehmen es viele im Dorf nicht genau.

Ist er der Bösewicht, für den ihn viele halten? René Tanner, Spross einer Familie, die einst eine Sägerei betrieb, ist aus Amerika zurückgekehrt, wo er angeblich wegen Mordversuchs im Gefängnis war. Nun haust er in einer Waldhütte. Die meisten im Dorf meiden den (von Roland Zwygart kraftvoll gemimten) Eigenbrötler. Einige werden nicht müde, ihm Arges zu unterstellen, etwa dass er die Sägerei selbst angezündet und sich an Kindern vergangen habe. Beim Verschwinden eines Mädchens schiessen Gerüchte ins Kraut. Wer wenn nicht der Tanner…?

Ohne Scheu

Keine Scheu vor dem Mann im Wald haben der behinderte Tobi und die eigenständige Meiti. Sie fragt ihn auch, warum sie keinen Namen hat, nur Meiti gerufen wird. Tobis Mutter, die einen Chlapf an die Ohren als erzieherisches Mittel ansieht, und der Gemeindepräsident und seine Frau, bei denen Meiti aufwächst, können die beiden Kinder nicht von Tanner fernhalten.

Die eitle Frau Doktor, die den Wald-Exoten mit dem Handy fotografiert, der Macho in der Feuerwehrkluft, der Lehrer mit dem Zeigefinger: sie alle tragen zur Anti-Tanner-Stimmung bei. Besonnene richten gegen die Verdächtigungen nichts aus, denn im Wirtshaus werden sie geschürt. Argwohn und niederträchtige Rivalität wachsen sich dramatisch aus, bis die halbtrotteligen Polizisten mit Glück den wahren Bösewicht entlarven. Doch das veranlasst kaum einen, Tanner um Verzeihung zu bitten…

Lust auf Gerücht

Das Stück hat der Berner Bühnen- und Hörspielautor Markus Michel fürs Freilichttheater Moosegg geschrieben. Sein Leiter Peter Leu verfolgt damit erzieherische Ziele. «Sind wir nicht oft selber Urheber und Verbreiter falscher Nachrichten?» fragt er im Programmheft und wünscht, «dass es uns gelingt, Wahres von Unwahrem zu unterscheiden». Die Berner TheaterCompanie, das von Leu seit den 1990er Jahren aufgebaute Laienensemble, verdeutlicht, wie leicht es Gerüchte über Nahestehende haben, weil wir Unwahres nicht selten gern glauben. – Und wie steht es mit Nachrichten aus fernen Ländern, deren Wahrheitsgehalt wir nicht überprüfen können, wenn wir es noch wollten?

Wahrheit – woher?

«Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten»: Jeannette Kasper-Reber, die im Stück mitspielt, sinniert im Programmheft über das biblische Gebot, nur Wahres über die Lippen kommen zu lassen. Das Dorf von Markus Michel und Peter Leu auf der Moosegg hat keine Kirche, keinen Gottesdienst, keine Verkündigung, die das Gewissen schärft. Auch wenn in diesem Dorf kräftig moralisiert wird. Da muss die Wahrheit länger unten durch, bis sie endlich ans Licht kommt.  

Dr. Zuchthüsler wird gespielt auf der Moosegg noch bis 18. August 2012:
Infos und Tickets

Datum: 07.08.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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