Protestanten "keine wirkliche Kirche"

Vatikan-Dokument vereist Ökumene

Wer trotz dem Schlag ins Gesicht von „Dominus Iesus“ im Jahr 2000 wieder auf eine grosskirchliche Ökumene hoffte, die nicht in römischen Bahnen verläuft, ist erneut enttäuscht worden. Der Vatikan hat in einem Dokument wiederholt, dass die Protestanten nicht wirklich Kirche sind.
Der Papst eröffnet die Versammlung der lateinamerikanischen Bischöfe, Mai 2006.
Tradition über alles: Die römisch-katholische Kirche bleibt in allen modernen Anfechtungen eine Priesterkirche.

Papst Benedikt XVI. hat die katholische Lehrmeinung bekräftigt, dass die Kirche Christi allein in der römisch-katholischen Kirche vollständig verwirklicht ist. Dies geht aus dem offiziellen Kommentar zu einem vom Papst gebilligten Dokument der Glaubenskongregation hervor, das der Vatikan am Dienstag veröffentlichte.

Der von Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) eingeführte Begriff, nach dem die von Christus gestiftete Kirche in der katholischen Kirche "subsistiert" (verwirklicht ist), bedeute nicht, "dass die katholische Kirche von der Überzeugung ablasse, die einzige wahre Kirche Christi zu sein". Der Begriff, so weiter, unterstreiche aber eine grössere Offenheit für das ökumenische Anliegen, die "vielfältigen Elemente der Heiligung und der Wahrheit" in anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften anzuerkennen. Erzbischof Angelo Amato, Sekretär der Glaubenskongregation, erklärte, der ökumenische Dialog verlange über eine Öffnung gegenüber den Gesprächspartnern hinaus auch die Bewahrung der katholischen Identität.

Auch den Orthodoxen fehlt was

Als (blosse) Gemeinschaften gelten dem Vatikan die Protestanten, weil sie keine Folge von geweihten Bischöfen haben, die auf die Apostel zurückgehen, und die Sakramente anders verstehen. Weil die Gemeinschaft mit dem Papst ein "inneres Wesenselement" für Kirchesein im vollen Sinn darstellt, haben in der römischen Sicht auch die orthodoxen Kirchen (trotz der Übereinstimmung in der Sakramentenlehre und der apostolischen Nachfolge) einen Mangel.

Befremden bei Protestanten

Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa ( GEKE ) reagierte befremdet. Sowohl die Argumentation als auch die Kürze des Dokuments irritierten, äusserte der GEKE-Präsident Thomas Wipf. Die Reformation habe den Blick auf die ursprünglichen Kennzeichen der Kirche gelenkt. Diese seien die reine Predigt des Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente. "Das – und nicht mehr – braucht es, um als authentischer Ausdruck der einen Kirche Jesu Christi gelten zu können."

Die Gleichsetzung einer verfassten Kirche mit der geglaubten Kirche Jesu Christi sei aus evangelischer Sicht undenkbar, sagte Wipf. "Alles Äusserliche ist fehlbar, also auch die evangelische und die römisch-katholische Kirche." Die für die GEKE grundlegende Leuenberger Konkordie von 1973 stelle ein starkes und handlungsfähiges Ökumenemodell dar. "Die Konkordie beruft sich auf die reformatorische Erkenntnis, dass Wort und Sakrament entscheidend sind. Das Evangelium konstituiert Kirche, nicht die apostolische Sukzession im Weihesakrament." Damit seien die Kirchen der Reformation einen Schritt weiter: "Wir erkennen die römisch-katholische als Kirche an. Es ist und bleibt bedauerlich, dass dies andersherum nicht möglich gemacht wird", so Wipf.

Huber: «Vertane Chance»

«Das Papier aus dem Vatikan wirkt hart und kalt» und «wie eine Absage von ökumenischen Gesprächen», stellte Thüringens evangelischer Landesbischof Christoph Kähler fest. Den Respekt, den die katholische Kirche für ihre Auffassungen erwarte, verweigere sie anderen. Zudem vermisst Kähler im Dokument die Bussfertigkeit der katholischen Kirche angesichts ihrer eigenen Geschichte. Fast 500 Jahre nach Martin Luther hätte Rom anerkennen können, «dass die Reformation notwendig war».

Die «Behauptung aus Rom», die evangelische Kirche sei keine Kirche im eigentlichen Sinn, kritisierte der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber als anmassend und schädlich für das Verhältnis der Konfessionen. «Ob wir Kirche sind, hängt nicht davon ab, ob der Papst und die Glaubenskongregation das bestätigen, sondern hängt an unserer eigenen Treue zum christlichen Glauben und zum Auftrag der Kirche.» Huber nannte das Papier eine „vertane Chance“, forderte jedoch die Christen in Deutschland auf, trotz dem Vatikan-Papier die ökumenische Zusammenarbeit voran zu treiben. «Es gibt zur Ökumene keine Alternative, wenn wir den christlichen Glauben in unserer Gesellschaft klar bezeugen wollen.»

Kurt Koch: Unterschiedliches Kirchenverständnis

Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Kurt Koch, versucht die theologischen Hintergründe des Dokuments zu erläutern Hinführung . Er verweist darauf, dass die grösste Schwierigkeit in der ökumenischen Verständigung heute im unterschiedlichen Kirchenverständnis liegt: Während die reformatorischen Gemeinschaften sich als Teil der einen Kirche in jeweils unterschiedlicher Gestalt verstehen, beanspruche die katholische Kirche, nicht bloss Teil der einen Kirche zu sein, sondern dass in ihr die "eine Kirche Jesu Christi konkret verwirklicht ist".

Wenn nach katholischer Auffassung die reformatorischen kirchlichen Gemeinschaften nicht "Kirchen im eigentlichen Sinn" genannt werden könnten, sei auch offenkundig, dass weder die reformatorischen Kirchengemeinschaften das Selbstverständnis der katholischen Kirche, noch die katholische Kirche dasjenige der reformatorischen Kirchengemeinschaften voll anerkennen können.

Achtung – oder Verachtung?

Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, erklärte, die Stellungnahme lasse „grundlegend Raum, die anderen Kirchen nicht nur moralisch, sondern theologisch als Kirchen zu achten". Denn: "Die Gleichsetzung Kirche katholische Kirche wird eingeschränkt." Dies ermögliche eine echte Ergänzung und einen aufrichtigen Dialog. Der römische Anspruch dürfe nicht zu irgendeiner Überheblichkeit führen, betonte Lehmann. Denn durch die Spaltungen sei auch die Fülle der katholischen Kirche eingeschränkt.

Der exklusive Alleinvertretungsanspruch römisch-katholischen Kirchenbegriffs sei von evangelischer Seite aus nicht akzeptabel, sagte Thomas Rachel vom Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU. «Gerade in der heutigen Zeit sollten wir uns als Christen vermehrt um ökumenische Einheit unseres gemeinsamen Glaubenszeugnisses für diese Welt bemühen statt uns gegenseitig voneinander abzugrenzen.»

SEK: Ökumene-Errungenschaften in Frage gestellt

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund ( SEK ) sieht wesentliche Errungenschaften der Ökumene in Frage gestellt. Mit Sorge stellt der SEK fest, dass sich die römisch-katholische Kirche durch den "Rückzug auf sich selber aus der weltweiten Gemeinschaft der Kirchen ausschliesst". Sie stelle wesentliche Errungenschaften des ökumenischen Dialogs in Frage. Grundlegend sei dass die Kirche nicht selber die Wahrheit ist, sondern auf die Wahrheit auf Christus hinweist. Die Kirchen der Reformation können sich darum in vollem Sinne als Kirchen verstehen und gleichzeitig die römisch-katholische Kirche als Schwesterkirche erkennen.

Kommentar

Zeit für innerevangelische Ökumene

Von Peter Schmid

Die römisch-katholische Kirchenleitung bleibt in ihrer mittelalterlichen Selbstüberschätzung gefangen, die anlässlich der Reformation zur katastrophalen Reaktion des Trienter Konzils (1545-62) führte. Von seinen Lehraussagen, die die Bekämpfung der Reformation einleiteten, zieht sich eine Linie zur neusten Feststellung des römischen Exklusivanspruchs auf das wahre Kirchesein, welcher alle anderen Christen herabsetzt. Das Erste Vatikanische Konzil von 1870 schuf mit der Unfehlbarkeit des Papstes bei Lehraussagen eine zusätzliche Kluft, auch zu den Orthodoxen.

So sehr man in einer Zeit des rasanten Wandels grundsätzlich ein klares kirchliches Profil wünschen oder die katholische Traditionspflege bewundern mag: Solange Rom die Kirchen der Reformation nicht als Kirchen annimmt, ist das Mittelalter nicht zu Ende.

Reagiert der Vatikan mit dem neuen Dokument darauf, dass Millionen von Katholiken in Lateinamerika der römischen Kirche den Rücken kehren und sich evangelischen Kirchen zuwenden? Dass auch in Asien und Afrika die konfessionellen Identitäten durchlässiger werden und diverse protestantische Gemeinschaften in die Öffentlichkeit treten? Der Hinweis des Kurienmannes Amato lässt es vermuten. Für die Zukunft der Weltkirche sind die Entwicklungen im Süden bedeutsamer.

Die Zähigkeit, mit der die römische Kirchenleitung das Überkommene festhält, ist einzigartig – was auch an der Wiederaufwertung der lateinischen Messe abzulesen ist. Der neue Churer Bischof Vitus Huonder liegt im konservativen Trend. Er gibt zu verstehen, dass in der Messfeier Laientheologen nicht predigen sollen, obwohl diese Praxis infolge des schmerzhaften Priestermangels hierzulande gut eingeführt ist.

Was nun? Die Leiter der altprotestantischen Grosskirchen haben allen Grund, sich mehr mit den neueren protestantischen Gemeinschaften, den Freikirchen, zu befassen und mit ihnen um ein gemeinsames evangelisches Zeugnis zu ringen.

SEA zum Vatikan-Dokument: Kirche ist überall dort, wo Menschen sich zu Jesus Christus bekennen

Datum: 12.07.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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