ISIS-Gräueltaten und der Westen

«Allerletzte Möglichkeit ist Waffengewalt»

Millionen von Christen beten mittlerweile für ihre Glaubensgeschwister in Syrien und im Irak, die von seiten der ISIS-Terroristen unbeschreiblichen Grausamkeiten ausgesetzt sind. Im Alltag eines Christen gilt «bete und arbeite». Darf hier auch gelten «bete und kämpfe»? Ist Waffengewalt in einem solchen Fall für Christen vertretbar? Ein Kommentar von Reinhold Schwarnowski.
Titelbild idea Spektrum 03.09.14: Auch die idea-Redaktion beschäftigt sich mit der Frage nach der Waffengewalt.
Redaktor Reinhold Scharnowski
Im September 1683 belagerten die Türken zum zweiten Mal Wien

Als ein Beispiel von vielen eine Schlagzeile vom 5. September: «Der St. Galler Bischof Markus Büchel ruft dazu auf, für die Menschen in Syrien und im Irak 'jede mögliche Hilfe und Unterstützung zu leisten' Als allerletztes Mittel unterstütze er sogar Waffengewalt.» (Thuner Tagblatt, 05.09.14)

Ist Waffengewalt vertretbar?

Unter vielen – vor allem jungen – Christen hat sich in den letzten Jahren die Meinung durchgesetzt, dass Krieg und Einsatz von Waffen vom christlichen Standpunkt unter allen Umständen abzulehnen sei. Doch, ist das wirklich die Lehre der Bibel?

Die mittelalterlich-barbarischen Akte der ISIS haben dieser Frage im Westen neue Aktualität verliehen. Sie fordern einerseits einen Naiv-Pazifismus heraus, der lange glaubte, dass es in der Welt keine neuen Kriegsherde gebe, dass alle Konflikte durch Verhandlungen lösbar seien und dass man nur lange genug gegen Krieg demonstrieren müsse, bis er verschwinde. Diese Einstellung beruht auf einem humanistischen Weltbild, das glaubt, dass Menschen rationale – und im Kern gute – Wesen sind. Natürlich will niemand hier bei uns Krieg, aber heute gibt es andere, die ihn wollen und die Töten als Tugend anschauen. No love but war – eine brutale Realität.

Es hat mich besonders getroffen, dass einer der Journalisten, der in der Gewalt der ISIS ist und evtl. als nächster vor laufender Kamera umgebracht wird, im Auftrag einer bewusst gewaltfreien, pazifistischen Organisation im Irak war.

Christlicher Pazifismus?

Aber wie ist es mit dem Pazifismus, der sich auf das Evangelium beruft? Hat nicht Jesus eine neue Ordnung gebracht? Hat er nicht in der Bergpredigt gesagt, man solle seine Feinde lieben und die andere Wange hinhalten? Hat er sich nicht selbst lieber töten lassen als sich zu wehren?

Wenn Bischof Büchel formuliert «Die allerletzte Möglichkeit ist Waffengewalt», dann versucht er, die Spannung auszudrücken, in der christliche Ethik steht: sie ist grundsätzlich friedensbereit, sucht Versöhnung, geht auch eine zweite Meile und tut alles, damit Gewalt nicht nötig ist. Jesus ist auf einem Esel, nicht mit geschwungenem Schwert auf einem Schlachtross in Jerusalem eingezogen.

Die Bibel ist aber realistisch genug, zu wissen, dass die neue Ordnung Gottes noch mitten in der alten Ordnung stattfindet, und zu dieser alten Welt gehören Böses, Konflikte, Machtstreben und Töten. Die Bergpredigt ist keine Richtlinie, die man einfach 1:1 in der Politik anwenden kann, sondern sie ist das «Grundgesetz der neuen Welt Gottes», die zwar mit Jesus angefangen hat, aber im Wesentlichen erst noch kommt.

Darum sagt Paulus etwa, dass der Staat nicht nur das Recht, sondern auch den Auftrag hat, das Böse zu bekämpfen. «Die öffentliche Gewalt steht im Dienst Gottes zum Nutzen jedes Einzelnen. Wer aber Unrecht tut, muss sie fürchten, denn Gott hat ihr nicht ohne Grund die Macht übertragen, Strafen zu verhängen. Sie handelt im Auftrag Gottes, wenn sie alle bestraft, die Böses tun.» (Römer 13,4)

Selbst im persönlichen Bereich rufen wir nach der Polizei, wenn wir angegriffen oder ausgeraubt werden. Staaten haben hier eine Schutzfunktion. Wenn ich aus selbstsüchtigen Motiven töte, ist das Mord. Wenn ich im Auftrag des Staates in den Kriegsdienst gehe, ist das eine ganz andere Sache – dann kann ich im Dienst des Guten stehen. Denn das Böse ist – nach biblischem Realismus – wie ein Krebsgeschwür und breitet sich brutal aus, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird.

Die Türken vor Wien

Diese Spannung ist nicht neu. Zur Zeit der Reformation entstanden die Täufer, die u.a. strikt pazifistisch waren und den Kriegsdienst ablehnten. Zur gleichen Zeit (1529) belagerten die Türken (Osmanen) Wien. Wenn sie nicht nach schweren Kämpfen zurückgeschlagen worden wären, ist es gut möglich, dass Europa heute islamisch wäre. Der - z.T. grausame - Widerstand der Reformatoren gegen die Täufer muss auch unter diesem Aspekt verstanden werden: wenn alle den Kriegsdienst verweigern, wer kämpft dann gegen brutale Invasoren? 

Im September 1683 belagerten die Türken zum zweiten Mal Wien und stellten das Ultimatum «Entweder Islam oder Tod – sonst wird die Entscheidung in unserem Streit dem Schwert überlassen». Zum Glück gab es auch dieses Mal Heere, die sich mit der Waffe in der Hand diesem Angriff gegenüberstellten.

Das Evangelium rechtfertigt keine Angriffs- und Eroberungskriege, und Christen sollen in ihrem Umfeld Friedensstifter sein, wo immer möglich. Aber die Bibel ist realistisch genug zu berücksichtigen, dass Staaten – wo es um Millionen von Menschen geht – den Auftrag haben, ihre Bürger gegen Aggression und Böses zu verteidigen. In einer gefallenen Welt können wir dem Paradox nicht entgehen, dass Frieden manchmal nur durch Waffengewalt erreicht bzw. gesichert werden kann.

Datum: 06.09.2014
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung