Kommentar

Der Preis verlängerten Lebens

Alte Frau

Weiter leben ist teuer. Für eine seltene Krankheit, die ihr Gehvermögen einschränkt, bekam die Patientin ein nicht kassenpflichtiges Medikament verschrieben. Daher weigerte sich ihre Krankenkasse, die Kosten für die Behandlung, jährlich rund eine halbe Million Franken, zu bezahlen.
Das Bundesgericht, das den Fall zu beurteilen hatte, stellte die Patientin in eine Reihe mit etwa 180‘000 gehbehinderten Personen, deren Lebensqualität sich mit vergleichbarem Aufwand verbessern liesse. Wenn man dies aufgrund der Rechtsgleichheit täte, hätte das Gesundheitswesen einen Aufwand von 90 Milliarden (das 1,6-Fache der nationalen Gesundheitskosten) zu tragen, rechneten die Lausanner Richter vor. Dies könne der obligatorischen Grundversicherung nicht zugemutet werden. «Ist der Aufwand nicht verallgemeinerungswürdig, so kann er aus Gründen der Rechtsgleichheit auch im Einzelfall nicht erbracht werden.»

Wie viel für ein Menschenlebensjahr?

Der Tages-Anzeiger hat Stimmen zur Frage eingeholt, wie viel eine Behandlung kosten darf und wer generell oder im Einzelfall entscheiden soll: Politik, Richter, Mediziner, Ethiker, Krankenkassen? Das Bundesgericht hat in seinem Grundsatzurteil eine Limite erwogen, um bei steigendem Rationierungsdruck der Rechtsunsicherheit und -ungleichheit vorzubeugen, und Gesundheitsökonomen zitiert, die «Beträge in der Grössenordnung von maximal ca. 100'000 Franken pro gerettetes Menschenlebensjahr noch als angemessen» betrachten.

Was geschieht Rettung?

Was kann aufgrund des christlichen Menschenbildes zum Dilemma gesagt werden, in das uns die Hochleistungsmedizin mit ihren Optionen versetzt? Drei Überlegungen:
Das Gemeinwesen muss tatsächlich der Ungleichbehandlung von Patienten wehren; die Menschenwürde (wir sind alle nach Gottes Bild geschaffen) ruft nach Rechtsgleichheit. Daher muss bei einer Kostenexplosion über Limiten nachgedacht werden.


Zugleich ist das Pathos zu hinterfragen, das die Medizin aus ihrem Bemühen, Leben lebenswert zu machen, bezieht. «Wie viel ist ein gerettetes Leben wert?» titelt die Zeitung. Wenn einem verunfallten Kind mit einer komplizierten Operation Jahrzehnte geschenkt werden, mag es angebracht sein, von Rettung zu reden. In den meisten Fällen, die hohe Kosten verursachen, bemühen sich Mediziner um Verlängerung der Lebenszeit mit einer akzeptablen Lebensqualität. (Schon heute behandeln sie 60- und 85-Jährige nicht gleich.)
Gemäss der Bibel ist der Mensch auf mehr angelegt als das irdische Leben. Dies weil er mehr ist als sein Körper. Er ist eine lebendige Seele. Gott hat «Ewigkeit in sein Herz gelegt». In Jesus Christus hat er alles getan für die Rettung der Seele vor dem Verlorengehen, das in der endgültigen Trennung vom Schöpfer besteht.
Dabei wird der Körper in der christlich-jüdischen Tradition keineswegs gering geachtet. Jesus war ein Heiler, den das körperliche Leiden seiner Zeitgenossen tief schmerzte. Er heilte Hunderte. Mit der Geschichte des «barmherzigen Samariters» setzte er ein Vorbild für selbstlose medizinische Versorgung; mit seinem Gang nach Jerusalem, die zur Verhaftung und Verurteilung führte, brachte er zum Ausdruck, dass menschliches Leben sich im Dienen an anderen erfüllt. Seine Auferstehung an Ostern schloss den Leib ein.
Das irdische leibliche Leben ist unendlich kostbar. Doch wirkt das Retter-Pathos der Medizin (mit höheren Ansprüchen der Patienten ergibt sich eine Spirale) aufgesetzt bei Massnahmen, die allein den Körper am Leben erhalten. Denn immer ist auch die Seele, der innere Mensch, der Rettung bedürftig.

Das Bewusstsein für die Dimension des ewigen Lebens ist auch in der säkularen Gesellschaft wachzuhalten und wieder zu wecken. Aus diesem Grund gehören die Kirchenvertreter mit an den Tisch, wenn Medizinethiker, Juristen und Gesundheitspolitiker Regelungen im Gesundheitswesen suchen.

Datum: 16.04.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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