Bedrängte Minderheiten

Religiöse Unruhen in Indonesien

Kirchen werden angezündet, Ahmadiyya-Anhänger totgeprügelt: Die religiös motivierte Gewalt in Indonesien hält unvermindert an. Staatspräsident Yudhoyono fordert das Verbot gewalttätiger Massenorganisationen. Die ins Visier genommenen Fanatiker fühlen sich stark genug, ihn herauszufordern.
In Indonesien brodeln nicht nur die Vulkane.
Nach dem Angriff auf die Ahmadis von Cikeusik auf Java

Die Islamische Verteidiger-Front, die Präsident Susilo Bambang Yudhoyono gemeint haben dürfte, ohne sie beim Namen zu nennen, reagierte auf seine Äusserung mit der Drohung, er werde gestürzt, sollte er zu einem Verbot greifen. Yudhoyono liess darauf online verlauten, er lasse sich von Bluffs nicht einschüchtern.

Missachtung der Justiz

Ein Mob von über 1000 fanatisierten Muslimen hatte am Dienstag, 8. Februar, in Temanggung auf Zentral-Java drei Kirchen angezündet. Am Freitag wurden über 20 Personen festgenommen, unter ihnen der Organisator des Treffens, dessen Teilnehmer dann wüteten. Der Mann mit den Initialen SYB habe die Leute am Vortag versammelt, ihnen Benzingeld und Reis abgegeben und klare Aufträge erteilt, sagte der Polizeichef von Zentral-Java laut der Jakarta Post. Eine andere Zeitung identifizierte ihn als Leiter einer islamischen Schule in der Region.

Insgesamt vier Kirchen in Temanggung wurden beschädigt, nachdem ein Gericht am Ort einen Angeklagten wegen «Lästerung des Islam» zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt hatte (nach einem anderen Bericht wurde dieses Strafmass, das maximale, von der Anklage gefordert). Das Treffen der Islamisten startete beim Gerichtsgebäude; SYB habe sich mit dem Antrag auf die Maximalstrafe nicht abgefunden. «Für sie ist die Todesstrafe die Maximalstrafe», sagte der Polizeichef. In Temanggung wurden schon vor Jahren Terroristen rekrutiert.

Ahmadiyya-Anhänger getötet

Die Christen sind nicht Indonesiens einzige religiöse Minderheit unter Druck. Im Dorf Cikeusik bei Banten auf West-Java griff eine Horde von angeblich über tausend Muslimen am 6. Februar Ahmadiya-Anhänger an und tötete drei von ihnen. Die aus Pakistan stammende Bewegung, die sich als islamische Reform-Bewegung versteht, aber von Sunniten und Schiiten als Sekte angesehen wird, soll in Indonesien verboten werden; dies fordern radikale Muslime seit Jahren.

Ein Video zeigt, wie ein im Dorf unbekannter Mann mit einer Machete den Mob anführt. Die Verteidigung der fünf seither festgenommenen Verdächtigen wies darauf hin, die Ahmadis hätten Waffen vorbereitet, statt der Forderung stattzugeben und aus dem Dorf wegzuziehen. Zudem hätten zwei Ahmadis, als sie gefangen wurden, nicht von ihrem «abwegigen Glauben» ablassen wollen. Die BBC zeigte auch eine Frau, die Steine auf das Ahmadi-Gebäude warf.

Langjährige Hetze

Beobachter sprechen von einer Hetze, die über Monate Hass gegen Minderheiten aufbaute. Was in der Schweiz mit dem Antidiskriminierungsartikel verboten ist, können Indonesier tun, ohne eine Strafverfolgung gewärtigen zu müssen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat den Konflikt in Cikeusik seit einem Jahr beobachtet. Muslimische Prediger hätten seit Anfang 2010 so gepredigt, dass der Hass auf Ahmadis gerechtfertigt erschien. Der indonesische Staat trug dazu bei; 2008 wurde in einem Regierungsdekret der Ahmadiyya die Verbreitung ihres Glaubens untersagt. Schon 2005 hatte der Rat der Ulema (Religionsgelehrten) eine Fatwa gegen die Ahmadiyah herausgegeben.

Der Leiter von Transparency International in Indonesien, Todung Mulya Lubis, hat daher die Ereignisse in Cikeusik and in Temanggung als «von der Regierung geförderte Gewalt» bewertet – wegen des Dekrets und des Verzichts der Sicherheitskräfte, präventiv einzugreifen. Laut HRW hat die Zahl der Attacken auf Ahmadis seit dem Erlass des Dekrets deutlich zugenommen – 2010 ereigneten sie sich fast wöchentlich. Die Justiz verfolgt die Fanatiker nicht; dies ermutigt sie zusätzlich, Ahmadis weiter einzuschüchtern.

«Tötet sie, sorgt euch nicht!»

Sobri Lubis, ein Scharfmacher der Islamischen Verteidiger-Front, hatte im Februar 2008 in einer Rede vor hunderten Anhängern zur Tötung von Ahmadis aufgerufen; das Video der Rede wurde ins Internet gestellt. Er und ein anderer Anführer der Organisation würden die Verantwortung übernehmen, sagte Sobri. «Kill them, don’t worry.» Während der andere Anführer wegen Hetze schon 2008 ins Gefängnis wanderte, ist Sobri nicht angeklagt worden.

Der Prozess gegen den prominentesten extremen Islamisten des Landes, Abu Bakar Ba'asyir, fördert neue Erkenntnisse zutage. Die Anklage wirft ihm vor, umgerechnet über 100‘000 Franken Spenden gesammelt zu haben, um Feuerwaffen und Munition zu kaufen und ein Terroristen-Trainingscamp in der Provinz Aceh einzurichten. Ein Viertel der Spenden kam von Bekasi, wo eine christliche Kirche im vergangenen Sommer von ihrem Gelände vertrieben wurde.

Datum: 15.02.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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