Zwischen Holocaust und Hoffnung
Nach seinen grossen Kinoerfolgen «Der weisse Hai», «E.T. – Der Ausserirdische», «Indiana Jones» und etlichen anderen, wollte der jüdische Regisseur Steven Spielberg (76) etwas völlig anderes drehen. Es sollte ein Film über den Holocaust werden, wie es ihn noch nie gegeben hatte. «Meine bisherigen Filme handelten nicht von der Wahrheit, sondern von meiner Phantasie, von meinen Träumen und Wünschen. Bei dem Thema Schindler war ich auf einmal mit der Wahrheit konfrontiert, ich konnte nicht in meine Phantasiewelten ausweichen», erzählte er damals dem SPIEGEL. Trotzdem oder gerade deswegen schuf Spielberg daraus einen Film, dem Hellmuth Karasek im gleichen Interview attestierte: «Die grösste Stärke Ihres Films ist, dass er den Stempel der Wahrheit in jedem Moment auf der Stirn trägt. Es ist mehr als eine historische Wahrheit. Es ist die Wahrheit der Kunst.»
Eine Ästhetik des Grauens
Der deutsche Unternehmer Oskar Schindler (1908-74) kaufte Fabriken in Krakau und beschäftigte darin jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil sie günstiger waren als andere. Als er der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie begegnete, schlug sein Gewissen. Er beschloss, so viele Juden wie möglich zu retten, indem er sie in seinem «kriegswichtigen» Unternehmen beschäftigte. Über 1'100 konnte er so dem Zugriff der Nazis entziehen und rettete damit ihr Leben. Schindler war ein Lebemann, er hatte etliche persönliche Schlagseiten. Das wird im Film nicht ignoriert, doch der Schwerpunkt liegt auf seinem Einsatz für jüdische Menschen.
Als Spielberg den schwierigen Stoff anging – mit dem Holocaust ist eigentlich kein Zuschauererfolg machbar –, verweigerte er sich der Hollywood-Maschinerie: Nur der Filmschnitt fand in den USA statt, gedreht wurde in Polen und die Schauspieler waren keine Hollywoodstars; er wollte nicht, dass die Darsteller mit vorigen Produktionen identifiziert würden. Nach der Startszene wechselt die Darstellung und der Film wird Schwarzweiss, was ihn allerdings nicht altertümlich wirken lässt, sondern intensiver. Seine Kraft entfaltet «Schindlers Liste» aus all diesen Details, aber in erster Linie daraus, dass er sich den üblichen Klischees verweigert. Das Grauen der Nazizeit wird deutlich, ohne dass immer wieder Soldatenstiefel gegeneinander geknallt werden und Menschen markig «Heil Hitler!» rufen. Es entfaltet sich durch die beiläufige Beschreibung von sadistischen Menschen wie Amon Göth, der aus seiner Villa heraus auf die Insassen des Konzentrationslagers schoss, das er leitete. Gleichzeitig bleibt offen, was Schindler letztlich zu seiner Rettungsaktion motivierte. Diese Offenheit macht den Filmstoff nicht leichter, aber es hebt ihn heraus aus vielen anderen, die «Ihnen simpel und schlüssig erklären, warum Leute so und so sind und so und so handeln» (Spielberg).
Hoffnung, wo es keine Hoffnung gibt
«Schindlers Liste» wurde ein Kassenerfolg. Mit seinen 320 Millionen Dollar Einspielergebnis war er extrem erfolgreich. Er wurde mit zahlreichen Auszeichnungen versehen, darunter sieben Oscars und drei Golden Globe Awards. Im selben Jahr lief ihm in den USA hauptsächlich ein Film den Rang ab: «Jurassic Park», ebenfalls von Steven Spielberg. Aber die Wirkung des Films lässt sich mit seinem finanziellen Erfolg nur unzureichend beschreiben. Für viele Menschen schuf er einen ersten wirklichen Zugang zum Holocaust, der systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden, und fasst das in Bilder, was Hannah Arendt als «Banalität des Bösen» beschrieb.
Der Film wurde allerdings auch stark kritisiert, weil er Juden nur als «schreiende Masse» darstelle, weil er die Person Oskar Schindlers nicht «richtig» zeige und vieles unzulässig vereinfache. Sicher ist vieles davon nachvollziehbar und legitim, doch kein Film der Welt könnte den gesammelten Ansprüchen begegnen und die Schoa adäquat darstellen, selbst wenn er dreieinviertel Stunden dauert wie «Schindlers Liste». Der damalige deutsche Bundespräsident Werner Herzog verlieh Steven Spielberg das Grosse Verdienstkreuz und würdigte, dass er sowohl dem Grauen als auch der Hoffnung Gesichter gegeben hätte. «Ihr Film hat gezeigt, dass die persönliche Verantwortung des Einzelnen niemals erlischt – auch nicht in einer Diktatur. Wir müssen keine perfekten Helden sein, aber wir haben die Pflicht, zu handeln.»
Ein Jubiläum im Zeichen des Antisemitismus
Auch aus heutiger Perspektive lohnt sich ein Blick auf das Filmjubiläum. Viele Menschen haben zurzeit den Eindruck, dass sie in den Medien oder gar der Filmwelt mit ihrer Werteorientierung nicht landen können. Oft ist dann zu hören: «Das darf man ja heute nicht mehr laut sagen.» Doch, man darf! Das Beispiel des Industriellen Oskar Schindler zeigt, dass man es sogar muss. Selbst wenn sich die Verhältnisse nicht völlig ändern lassen, bleibt der Schluss des Films, ein Talmudzitat, doch ein starkes Hoffnungssignal: «Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.» Das Beispiel des Regisseurs Steven Spielberg und von «Schindlers Liste» zeigt ausserdem eindrücklich, dass Werteorientierung nicht zum Misserfolg verurteilt ist.
Gleichzeitig unterstreichen die aktuellen Ereignisse in Israel und im Gazastreifen die Wichtigkeit dieser Botschaften. Fast genau 30 Jahre nach der Uraufführung des Films erlebten zahlreiche Holocaustüberlebende, dass sie wiederum zu Opfern wurden, nur weil sie Juden waren. Auch in Westeuropa ist Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch. Er äussert sich heute anders als damals in Krakau, doch Bilder wie die aus «Schindlers Liste» können helfen, ihn nicht zu verharmlosen. Für einige Kritiker war der Film untragbar und er wurde neben sachlichen Einwänden auch völlig verrissen. «Indiana Jones im Ghetto von Krakau» titelte damals die WELT. Die meisten sehen ihn allerdings als einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen. Bereits zum 25-jährigen Jubiläum hiess es beim Deutschlandfunk: «Die Zuschauer von ‚Schindlers Liste‘ wollten das ‚Vergessen überwinden‘. Das Ziel hätte Spielberg erreicht. Das ‚Überwinden von Vergessen‘ ist – heute offensichtlich! – kein einmaliger Akt, sondern ein mühsamer Prozess.» Das ist so geblieben.
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