Die Chance eines Neubeginns
Dr. Andreas Loos. Im Interview geht er dem Zauber, Zaudern und der Zukunft nach, die im Anfangen liegen.
«Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...», schrieb Hermann Hesse (1877–1962)
in seinem Gedicht «Stufen». Können Sie ihm zustimmen?
Dr. Andreas Loos: Einerseits sind wir Menschen tatsächlich wie verzaubert, wenn
wir etwas Neues starten. Es kribbelt vor Aufregung, die Schmetterlinge
verbreiten ein vibrierendes Gefühl im Bauch. Zugleich ist uns mulmig zumute,
Angst beschleicht uns. Aber der Sog in die Zukunft ist stärker, Neugier,
Vorfreude, Abenteuerlust und Selbstvertrauen siegen. Ohne diesen Zauber würden
wir wohl keine Liebesbeziehung beginnen, weder den Arbeitsplatz noch den
Wohnort wechseln und auch keine Kinder zur Welt bringen. Aber was, wenn uns das
Leben zu einem Neuanfang zwingt? Der Witwer, der unter dramatischen Umständen
sein Leben – und das seiner Kinder – auf ein neues Gleis bringen muss. Die
Café-Betreiberin, die pandemisch bedingt vor dem Nichts steht. Die Sportlerin,
die sich nach einem schweren Unfall im Rollstuhl wiederfindet. Anfangen, wenn
man muss, das ist oft gar nicht zauberhaft.
Für viele
Menschen ist ein neuer Anfang mit Angst verbunden. Wie kann diese überwunden
werden?
Wie
wäre es, wenn wir ab und zu auf die Angst hören? Das Neue ist nicht
automatisch das Bessere. Angst kann ein begründeter Ratgeber sein, der mich
bewahrt; etwa vor einem überschwänglichen und überstürzten Neustart, der
den Anfang vom Ende bedeutet. Meist aber leiden wir an falschen Startängsten.
Die sollten wir aus ihrem Nebel holen: Wovor genau fürchte ich mich? Am besten
stellen wir diese Frage denen, die uns lieben und unser ängstliches Zaudern
kennen. Angst überwinden wir auch, indem wir durch sie hindurchgehen. So wie
Jim Knopf. Der furchterregende Riese in der Ferne wurde mit jedem Schritt drauf
zu kleiner. Nicht mehr als eine Fata Morgana! Manchmal sollten wir uns auch
grosszügig zugestehen: «Ja, ich habe Angst, ich werde sie nicht los, aber ich
kann mit ihr leben.» Ab und zu unterhalte ich mich mit meinen Ängsten: «Hallo
Angst, da bist du ja wieder. Ich verstehe gut, dass du dich melden musst. Aber
ich habe leider nur Zeit für eine Tasse Tee mit dir, danach beginne ich mit
der Zukunft.»
Was sagt die
Bibel zum Thema Neustart?
Sie
beschreibt Gott als den grössten Anfänger aller Zeiten. Der Schöpfer hat
alles, auch mich selbst angefangen. Nicht, weil er musste. Nicht, weil er mit
sich selbst nichts mehr anzufangen wusste. Vielmehr wollte er vor lauter Liebe
sein Leben, seine Herrlichkeit und Schönheit mit uns teilen. Er ist Alpha und
Omega, Anfang und Ende (die Bibel, Offenbarung, Kapitel 21, Vers 6). Das
bedeutet: Er bleibt dem, was er gestartet hat, treu. Wenn ihm mit uns mal etwas
nicht gelingt, dann zeigt er als kreativer Töpfer seine wahre Kunst und
schafft etwas Neues (Jeremia, Kapitel 18). Sein Heiliger Geist kann sogar mit
dem Tod etwas anfangen, Leben auferwecken und die neue Menschheit beginnen. Das
ist die schöpferische Geistkraft, die so zauberhaft in unseren Anfängen weht.
Anfangen ist göttlich. Wir sind wohl kaum so sehr Ebenbilder Gottes, als wenn
wir erneut oder etwas ganz Neues starten. Die Bibel ist das Buch der grossen
und kleinen Anfänge.
Der Apostel
Paulus schreibt im Brief an die Korinther: «Mögen auch die Kräfte unseres
äusseren Menschen aufgerieben werden – unser innerer Mensch wird Tag für Tag
erneuert.» Was ist darunter zu verstehen?
Anscheinend
hatte Paulus ein besonderes Gespür für den Geist Gottes. Das ist die
verborgene, innere Dimension seines Lebens, der innere Mensch. Der äussere
Mensch nach Leib und Seele wird vom Leben aufgerieben, seine Energien reichen
nicht ewig. Aber ausgerechnet in diesen Erfahrungen von Begrenztheit,
Schwachheit und Endlichkeit entdeckt der Apostel die Kraft des Heiligen
Geistes. Dieser hat nicht nur Christus von den Toten auferweckt und damit die
neue Menschheit gestartet. Der Geist Gottes weckt den Apostel täglich auf:
Restart als morgendliche Geisterfahrung. Ich kenne solche charismatischen
Menschen aus nächster Nähe. Sie scheinen oft fix und fertig. Aber sie
versprühen eine Lebensenergie, die sich aus göttlicher Quelle speist.
Wie gehen Sie
persönlich damit um, wenn Neues ansteht?
Ich
habe den Eindruck, der Geist Gottes weht mir das Neue spielerisch zu. Ich
fühle mich oft ergriffen von neuen Möglichkeiten und einer anderen Zukunft.
Dann gilt es, sich ergreifen zu lassen und dem Sog zu folgen. Risiko gehört
dazu. So nehme ich in Kauf, dass etwa ein neues theologisches Projekt daneben
geht. Ich bin eh kein Weltmeister im Richtigmachen. Seit einigen Jahren spüre
ich aber auch ein ängstliches Zögern, etwa wenn es um grössere Neuanschaffungen
geht oder um Weichenstellungen, die man einfach anpacken muss, wenn man älter
wird. Es fällt mir schwer, etwas Neues anzufangen, weil das Alte – egal ob
natürlich oder unnatürlich – zu Ende geht. Liebgewonnenes und auch gute
Zeiten loszulassen, um das nächste Kapitel aufzuschlagen... dazu brauche ich
unbedingt gute Freunde, die mitgehen, und geistliche Väter und Mütter, die
mir vorausgehen.
Zur Person:
Dr. Andreas Loos ist gelernter
Kraftfahrzeugmechaniker und seit 2002 Dozent für Systematische Theologie am
Theologischen Seminar St. Chrischonatsc (tsc.education). Loos ist mit Simone verheiratet
und lebt auf St. Chrischona bei Basel. Seine grosse Sehnsucht gilt zurzeit
«einer heilsamen Theologie, die spürbar Lust macht auf Glauben, Liebe und
Hoffnung».
Dieser Artikel erschien zuerst in der Jesus.ch-Print Nr. 57
Zum Thema:
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Datum: 24.01.2022
Autor: Manuela Herzog
Quelle: Jesus.ch-Print