Wie Gott ein Stück Holz zum Klingen bringt
Wenn ein Mann wieder Kind sein will, dann ist er entweder im EM-Fussballfieber oder er entdeckt Gottes Stimme in einem Saiteninstrument. Geigenbauer Martin Schleske hat dazu ein lesenswertes Buch mit dem Titel «Herztöne» geschrieben. Er behandelt das Thema Klänge des Lebens, Lauschen und Zuhören. Als Geigenbauer hat er Erfahrung darin. Denn er hat oft mit professionellen Musikern zu tun, die sich meist nur in emotionalen Höhen und Tiefen bewegen. Auf witzige Weise erzählt Schleske, was sie über die Klänge ihres Instruments äussern: «ein Traum», «unsagbar schlecht», «überwältigend» oder «eine Zumutung». Es sind Musiker, so Schleske, mit überfeinen Seelen, die ihrem Instrument nicht nur einen Klang abverlangen, sondern genau «den» Klang hören und erzeugen wollen. Gelingt er nicht, verzweifeln sie beinahe.
Atemberaubende Sanftheit
Lange Zeit konnte er diese Musiker nicht verstehen, bis er selbst auf einer wunderbaren alten Stradivari aus dem Jahre 1712 spielen durfte. Er schreibt: «Doch als ich dieses Instrument in der intimen Akkustik meiner Werkstatt spielte, war ich schockiert: Da war nicht nur jene starke Kraft, die ich von meinen Instrumenten kannte, sondern zugleich eine atemberaubende Sanftheit.»
Der Mensch klinge anders mit diesem Instrument. So wie ein angstfreies und vertrauendes Leben einen ganz anderen Klang habe. Oder so wie ein gläubiger Mensch auf die Liebe und Treue Gottes vertraue und stetig nach dessen Klang suche. Martin Schleske untermauert seine Überlegung mit der Aussage Picassos: «Als ich dreizehn Jahre alt war, konnte ich malen wie ein grosser Meister, aber ich habe ein Leben lang gebraucht, um zu malen wie ein Kind.»
Naivität eines Künstlers
Er spielt damit auch auf die fehlende Nüchternheit von Christen an, die eifrig theologische Auseinandersetzungen suchen und dabei beinahe vergessen, wie Kinder das Geheimnis Gottes zu lieben. Schleske versteht es, mit der Feder eines sanftmütigen Philosophen die Dinge beim Namen zu nennen. Die erste Naivität ist die des Kindes, führt er aus. Die zweite Naivität ist die Naivität eines Künstlers, der neugierig, experimentierfreudig, kreativ und geistig jung bleibt. Dazu bedarf es aber einer Verletzlichkeit, in der dennoch geliebt, dennoch gehofft, dennoch vertraut werden kann.
Denn Gott nehme stetig Anteil an unserem Klang. Seine Wahrheit spiegle sich in unserem Verhalten, seine Gegenwart in unserer Aufmerksamkeit, seine Barmherzigkeit in unserem Vergeben, meint Schleske. Dies sei die Verletzlichkeit der zweiten Naivität eines Künstlers. Sie gibt Gott den notwendigen Raum. Dabei müssen nicht alle Künstler sein. Es geht auch viel einfacher: Jeder kann die Stimme Gottes erkennen, denn Glauben heisst auch erlauben.
Zum Buch:
Herztöne, Lauschen auf den Klang des Lebens
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Datum: 02.08.2016
Autor: Iris Muhl
Quelle: Livenet