«Man muss irgendwo anfangen, um die politische Islamisierung zu stoppen»

Wie ist mit den Mächten im Islam umzugehen, die die Integration von Muslimen erschweren? Die Frage ist beim Streit um Minarette ernst zu nehmen. Für den Orientalisten Heinz Gstrein ist die Schweiz besser dran als Nachbarländer. Er warnt aber angesichts von Islamisierungsbestrebungen davor, den Kopf in den Sand zu stecken, und bejaht ein Minarettverbot.
Prachtvoll: Die saudi-arabische Moschee im südspanischen Marbella, wo der Monarch des Wüstenreichs eine Residenz hat.
Mit Muslimen über Jahrzehnte im Gespräch: Heinz Gstrein.
Unauffällig: das Minarett auf der albanischen Moschee in Winterthur.

Der politische Islam versucht mit der Ausrichtung von staatlichem, öffentlichem und privatem Leben auf alte Gebote, zersetzenden modernen Einflüssen zu trotzen. Muslime sollen zu einem entschiedenen Einsatz für ihre Religion bewogen werden. Nach Ansicht des Orientalisten Heinz Gstrein profitiert der politische Islam davon, dass Muslime traditionell auch ausserhalb islamisch geprägter Länder, auch im Westen für die Ausbreitung ihrer Religion zu sorgen haben.

Was mit dem Minarett auf uns zukommt

Diese derzeit nur von einer Minderheit praktizierender Muslime anerkannte Verpflichtung müsse bei der Debatte um Glaubensfreiheit und Integration - und konkret bei Baugesuchen für repräsentative Moscheen und Minarette - einbezogen werden, meint Gstrein im Gespräch mit Livenet. «Man muss irgendwo anfangen, um die politische Islamisierung zu stoppen.» Das Minarett findet er einen guten Anknüpfungspunkt. «Dabei muss uns ganz klar sein, dass es weniger um das Minarett als solches geht als um das, was mit dem Minarett auf uns zukommt.»

Petrodollars auf dem Balkan

Der unermüdlich reisende Beobachter des Orients, der selbst der orthodoxen Kirche angehört, verweist im Gespräch auf den Umbruch in Südosteuropa: Wo man von Jahrzehnten einen eigenständigen toleranten 'europäischen' Islam ausmachte, brachten der Zerfall der kommunistischen Herrschaft und die Balkankriege eine Re-Orientalisierung: «Das geht so weit, dass Mädchen und Frauen, die sich verschleiern, dafür gar ein Monatssalär bekommen.» Viele hundert neue Moscheen (finanziert mit Petrodollars) in Albanien, Makedonien, Kosovo und Bosnien sowie arabische Kämpfer, die einheimische Frauen heiraten, tragen zu einer Umprägung bei. «In der kroatisch-bosnjakischen Föderation gibt es keine markierte Grenze - sie wird von Muslimen mit Minaretten abgesteckt.»

Radikale sprangen in die Lücke

Dies wirkt sich auch bei den hier lebenden Migranten aus. Die ersten reisten nach 1960 wegen der Arbeit ein und traten ursprünglich gar nicht als Gläubige in Erscheinung. Gstrein: «Weder die Türkei - damals jedenfalls, heute ist das anders - noch Jugoslawien waren interessiert, den Leuten Lehrer und Moscheevorsteher zu senden. In die Lücke sprangen radikale Bewegungen. Die radikale Islamisierung ist bei uns so geschaffen worden.»

«Herrschaftsanspruch des Islam»

Gstrein, der sich vierzig Jahre mit der Religion auseinandergesetzt und lange in Kairo gelebt hat, hält im Gespräch fest: «Der Islam ist von Beginn darauf angelegt, Allahs Reich über die ganze Erde auszubreiten. Er hat nicht nur einen globalen Verkündigungsanspruch, sondern - und in erster Linie - im Namen Allahs einen weltweiten Herrschaftsanspruch. Das ist so seit der Auswanderung Mohammeds aus Mekka im Jahr 622.» Für den orthodoxen Christen besteht ein wesentlicher Unterschied zur Botschaft von Christus, der vor Pilatus bekannte: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt.» Auch wenn Christen in der Geschichte ihre Religion allzu oft für Machtpolitik und unmenschliche Unterdrückung eingesetzt hätten, sei dieser prinzipielle Unterschied festzuhalten.

Weniger soziale Probleme in der Schweiz

Die Schweizer Islamdebatte dreht sich um die Frage, wie Probleme anderer westeuropäischer Ländern hier verhindert werden können, wenn der Bevölkerunganteil der Muslime ähnlich hoch ist. Für Gstrein unterscheidet sich die Situation in der Schweiz wesentlich von jener in anderen Ländern. «Ein militanter Islam braucht einen sozialen Nährboden.» Hier hätten Jugendliche bessere Aussichten in Schule und Ausbildung.

«Wir haben in Europa eine Bewegung hin zum Islam»

Der Streit um Minarette - Gstrein befürwortet die Initiative für ein Bauverbot - darf nicht von den drängenden grösseren Fragen ablenken. Der Orientalist warnt davor, den Kopf in den Sand zu stecken: «Geschlossene und klare Systeme wie der Islam, dessen Gesetz für den ganzen Tag vorschreibt, was man zu tun und zu lassen hat, haben etwas Anziehendes und Verführerisches in Zeiten allgemeiner Orientierungslosigkeit. Wir haben in Europa eine Bewegung hin zum Islam.» Der langjährige Beobachter unterscheidet drei Gruppen von Europäern, die zum Islam übertreten: Karrieristen, Ungläubige, die ein erstes Gotteserlebnis haben, und unsichere Gläubige, «die sich von ihren Kirchen verraten und verkauft fühlen und nun im Islam klare Grundsätze finden, eine Religion, die zu bekennen man sich nicht schämt».

Für Gegenseitigkeit: Moschee hier - Kirche dort

Ein Kenner der bedrängten Kirchen im islamischen Raum, plädiert Gstrein für Gegenseitigkeit bei Bauvorhaben - wie sie früher eingefordert wurde. So wäre bei der Errichtung der Genfer Moschee mit saudi-arabischen Mitteln «mindestens eine Kirche in Saudi-Arabien fällig gewesen: Die Schweiz hätte sie für Christen aus der Schweiz und dem übrigen Europa fordern sollen. Wir hätten heute keine helvetisch-reformierten Kirchen in Ägypten, Tunesien und Algerien, wenn dieser Grundsatz nicht früher angewandt worden wäre, auch von der Schweiz.»

Das ganze Livenet-Gespräch mit Heinz Gstrein: «Der Islam wird zersetzt - und er setzt sich durch»

Datum: 15.10.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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