Erneut ziehen Menschen in einem grossen Zug durch Zürichs Innenstadt, um sich gemeinsam an die Leiden Jesu zu erinnern und die Leiden der heutigen Zeit zu bedenken. "Die Erfahrung von Leiden und Hoffnung verbindet die Konfessionen untereinander und verbindet uns Christinnen und Christen mit den Menschen in der Welt", sagt die reformierte Kirchenrätin Jeanne Pestalozzi. An der Spitze des Zuges werden Männer und Frauen abwechslungsweise das grosse Holzkreuz tragen. Auf dem zweistündigen Weg, der durch die Bahnhofstrasse führt, wird an verschiedenen Stationen Halt gemacht. In diesem Jahr wird unter anderen die Schauspielerin Maria Becker eine Station bestreiten und unter dem Motto das "Leiden der Kreatur" zur Besinnung anregen. An einer weiteren Station wird Gerold Hilty, Alt-Rektor der Universität Zürich, die Bevölkerung an das Leiden der heutigen Völker im Krieg erinnern. Zudem werden Kirchenleute den Anspruch auf Macht und Erfolg kritisch hinterfragen und überlegen, ob der Wahn nach Machbarkeit die Fähigkeit, "Wächter Gottes" zu sein, verkümmern lasse. Bereits in früheren Jahren machten die Teilnehmenden am ökumenischen Kreuzzug jeweils an Stationen Halt, wo Menschen heute leiden: Gedacht wurde der Arbeitslosen beim Arbeitsamt, der Kranken beim Uni-Spital, der strauchelnden Studenten bei der ETH-Terrasse, der ausgebeuteten Frauen in der Langstrasse, der Opfer der "Spass-Gesellschaft" beim Kunsthaus und der Mittellosen in der Dritten-Welt bei den Banken am Paradeplatz. Am kirchlichen Grossanlass mit vielen hundert Personen marschieren jeweils Christinnen und Christen verschiedenster Schattierungen mit. Neben eher konservativ Gesinnten und Leuten aus den Freikirchen nehmen auch politisch-kritisch Orientierte, Mönche und Nonnen, weiter Christinnen und Christen der christkatholischen, der anglikanischen, der serbisch-, russisch- und griechisch-orthodoxen Kirche am Pilgerzug teil. Präsent sein werden in diesem Jubiläumsjahr nicht nur die Initianten des Zuges, Pfarrer Franz Stampfli und Gerhard Traxel, sondern auch die reformierte Kirchenrätin Jeanne Pestalozzi und Zürichs Weihbischof Paul Vollmar sowie der christkatholische Bischof Fritz-René Müller. Für Pfarrer Franz Stampfli ist "die Prozession am Karfreitag ein Zeichen, dass Jesu Leiden nicht nur ein historisches Ereignis ist, dass 2000 Jahre zurückliegt". Auch heute werde gelitten. Christus leide im Menschen; dieser sei aber nicht nur im Leiden, sondern auch in der Auferstehung mit Christus verbunden. Pfarrer Gerhard Traxel fügt hinzu: "Nicht masochistische Verklärung von Leiden, sondern Anteilnahme und Aufstand gegen das Leiden von Mensch und Kreatur sind für mich Motivation und Inhalt dieses Kreuzweges." Für die reformierte Kirchenrätin Jeanne Pestalozzi, die zum zweiten Mal am Kreuzweg teilnehmen wird, ist der Gang ein eindrückliches Zeichen der gelebten Ökumene. Es sei für sie als Reformierte zwar fremd, am Karfreitag durch die Strassen zu ziehen. Sie tue es aber, um Anteil an einer Tradition der anderen Konfessionen zu nehmen. Es ist für Pestalozzi bedeutsam, „an die Orte zu gehen und dort zu beten, wo Menschen in unserer Stadt im Übermass gefordert sind. Handeln und Beten gehören zusammen. Wenn die Kirche etwas tut, hat man keine Mühe davon zu erzählen. Vom Beten sprechen wir weniger. Doch es gehört zum Glauben wie das Atmen. Der Kreuzweg macht das sichtbar". Der Kreuzweg, organisiert von einer ökumenischen Arbeitsgruppe unter der Leitung des reformierten Pfarrers Gerhard Traxel und des katholischen Pfarrers Franz Stampfli, beginnt am Karfreitag um 12 Uhr in der reformierten Kirche St. Peter und endet gegen 14 Uhr in der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Zürich-Aussersihl.Macher oder Wächter?
"Christus leidet im Menschen"
„Auch in der Auferstehung mit Christus verbunden“
Miteinander
Datum: 09.04.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch