Unerforschte Weltgeschichte

Ruinenstadt belegt Koexistenz der Religionen

Archäologen haben mit Grabungen im Jemen Licht in ein bisher weitgehend unerforschtes Kapitel der Weltgeschichte gebracht. Die Funde in der altsüdarabischen Stadt Himyar belegen, wie stark die Wurzeln des Islam mit dem Judentum und Christentum verbunden waren.
(Foto: iStockphoto)
Karte (Foto: Wikipedia)

Das altsüdarabische Reich Himyar mit seiner Hauptstadt Zafar war etwa so gross wie Westeuropa ohne Frankreich und bildete das letzte vorislamische Reich im heutigen Jemen. Sein Aufstieg begann um 110 vor Christus, in der Blütezeit vom 3. bis zum 5. Jahrhundert nach Christus dominierte Himyar politisch und militärisch ganz Arabien. In diese Zeit, in der in der Hauptstadt Zafar 25‘000 Einwohner lebten, fiel auch der Wandel vom Mehrgötterglaube zum Judentum und zum Christentum, erst im 7. Jahrhundert gelangte der Islam in die Städte, als Himyar bereits untergegangen war.

Zeit vor dem Islam

«Die Spätphase vor dem Islam war eine dunkle Periode, aus der man nur wenige Quellen hatte», erklärt Professor Paul Yule von der Universität Heidelberg. «Unsere Funde in der antiken Ruinenstadt Zafar haben der Zeit unmittelbar vor dem Entstehen des Islams in Altsüdarabien ein Gesicht gegeben. Die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung dieser bislang kaum erforschten Epoche könnte bisher unterschätzt worden sein.»

Vermeintlich zerstörte Stadt

Als Paul Yule 1998 mit den Arbeiten in dem auf 2800 Meter Höhe gelegenen Zafar begann, ging die Forschung noch davon aus, dass dort wenig zu finden sei, weil nahezu alles zerstört worden sei. Tatsächlich erwiesen sich die 120 Hektar Grabungsfläche in den nächsten Jahren als wahre Fundgrube: «Das war für mich eine goldene Brücke – ich musste sie nur betreten», sagt Yule, der auch Professor an der Philosophischen Fakultät der Ruperto Carola ist.

Gesellschaft mit Regeln

Unter Schuttschichten fanden die Forscher rund 400 Maueranlagen, Gräber, Brunnen und Gebäude sowie rund 200 Inschriften und etwa 900 Reliefs. Diese belegen, dass die Hauptstadt Zafar eine Stadt mit grossen Prachtbauten war: «Jedes Gebäude hatte Bauschmuck», berichtet Yule. Aus den Funden lasse sich schliessen, dass Himyar über eine gediegene Architektur und Kunstindustrie mit sehr viel Bilderkunst sowie über eine hierarchisch strukturierte Gesellschaft mit strengen Regeln verfügt habe.

Verschiedene Religionen

Der spektakulärste Fund war 2008 eine 1,70 Meter grosse Königsfigur – die einzige erhaltene frühchristliche Skulptur Altsüdarabiens. Zudem tauchten Fundstücke mit jüdischem Hintergrund auf, etwa ein Siegelring mit aramäischer Inschrift. «Die Funde sind Hinweise, dass das Judentum in Altsüdarabien früher vertreten war, als man bisher dachte, wahrscheinlich schon vor dem 4. Jahrhundert vor Christus“, erklärt Yule. «Ausserdem glauben wir, dass Polytheismus, Judentum und Christentum längere Zeit nebeneinander in dieser Region existierten.»

Der Untergang

Während der Hochphase des Reichs gab es offenbar eine jüdische Oberschicht und verschiedene christliche Gruppierungen, die sich untereinander bekämpften. Fehden zwischen den verschiedenen Religionsgruppen und Stammesgesellschaften sowie Epidemien und eine Pandemie führten im 6. Jahrhundert schliesslich zum Niedergang des himyarischen Reichs. «Wir haben versucht, in Zafar eine wenig bekannte, aber wichtige Phase der Weltgeschichte zu erfassen», erklärt Yule. «An dieser zentralen Stelle konnten wir die Strukturen erforschen, aus denen später der Islam hervortrat.»

Die insgesamt elf Grabungskampagnen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Auswärtigen Amt, dem Deutschen Archäologischen Institut und verschiedenen Stiftungen unterstützt. Wegen der Verschärfung der Sicherheitslage im Jemen mussten die Archäologen das Land kürzlich als letztes Grabungsteam verlassen. Mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung konnte zum Abschluss ein Stahldach über einer steinernen Hofstruktur errichtet werden, um diese vor den Witterungseinflüssen in der regenreichsten Gegend Arabiens zu schützen.

Datum: 10.02.2011
Quelle: Universität Heidelberg

Werbung
Livenet Service
Werbung