Was ist christliche Philosophie?
Der inhaltliche Spannungsbogen war gross und reichte von den Anfängen der antiken Philosophie bis zu aktuellen Diskussionen innerhalb der heutigen angelsächsischen analytischen Religionsphilosophie. Ein Blick in die Geschichte zeigt das wechselvolle Verhältnis von Philosophie und Theologie. Während die einen die kritisch-warnende Frage stellen «Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen? Was die Akademie mit der Kirche?», bedeutet für andere das Christentum gleichsam die Vollendung der Philosophie, welche als «Werk göttlicher Vorsehung» gewürdigt wird. Zwischen diesen Polen sind jene Auffassungen angesiedelt, die ein differenziertes Zueinander von Philosophie und Theologie konzipieren.
Väter des Abendlandes
Am ersten Tag der Studienkonferenz lag der Akzent auf den für das abendländische Denken einflussreichen Stellungnahmen. Platons Seinslehre ist von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der christlichen Metaphysik (Emil Angehrn). Thomas von Aquins Synthese von Philosophie und Theologie lässt sich mit dem Bild der Verwandlung von Wasser in Wein illustrieren (Hans-Christian Schmidbaur). Martin Luther bestimmt das Verhältnis in der Perspektive der Theologie des Kreuzes (Theodor Dieter).
Die Welt vom Evangelium her denken
Am zweiten Tag dann richtete sich das Augenmerk auf christliche Denker des 20. Jahrhunderts. Im deutschen Sprachraum haben sich u.a. Karl Heim und, vielleicht weniger bekannt, Adolf Schlatter um eine Philosophie bemüht, die den Grundaussagen des Evangeliums Rechnung trägt (Johannes Schick, Werner Neuer). Im niederländischen Bereich ist hier Herman Dooyeweerd zu nennen, dessen von der reformierten Theologie geprägter Entwurf weit in die angelsächsische und asiatische Welt hineinwirkt. Der Amerikaner Alvin Plantinga schliesslich, ebenfalls in der reformierten Tradition stehend, hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Gottesgedanke in die analytische Philosophie zurückgekehrt ist (Gianfranco Schultz).
Stoff für Debatten
Das kompakte Tagungsprogramm liess eine ausführliche Diskussion zu den einzelnen Referaten natürlich (leider) nicht zu. Die Tagungsbeiträge, Referate und Koreferate, sollen jedoch im kommenden Jahr in der Reihe «Studien zu Theologie und Bibel» der STH Basel veröffentlicht werden. Dann wird das eine oder andere Gespräch sicherlich eine Fortsetzung erfahren. Darüber hinaus ist zu wünschen, dass das Anliegen einer christlichen Philosophie auch über den Kreis der Konferenzteilnehmer hinaus aufgegriffen und bedacht wird. Dazu gab diese Tagung einen kräftigen Anstoss.
Datum: 02.10.2010
Autor: Gianfranco Schultz
Quelle: Livenet.ch