Depression und Manie

Wenn die Stimmung aus dem Gleichgewicht gerät

Am 25. Oktober fand auf St. Chrischona bei Basel das 16. Riehener Seminar mit über 800 Teilnehmern statt. Unter dem Motto „Stimmungsschwankungen – Depression und Manie“ gaben acht Referenten Hilfen für den therapeutischen Alltag. Inhaltlich wurde ein weites Spektrum von Psychologie, Theologie und Neurobiologie geboten.
Mit Stimmungsschwankungen umgehen: Samuel Pfeifer (links) im Gespräch mit Radiomoderator Ruedi Josuran.
Was das Gehirn lernt: Prof. Konrad Michel legte neue Erkenntnisse der Neurobiologie dar.
Das 16. Riehener Seminar – ein voller Saal auf St. Chrischona.

Jeder Mensch hat ein angeborenes Temperament. Ein gesunder Mensch kann seine Emotionen den Situationen im Leben anpassen. Er kann trauern, sich freuen oder er schämt sich, fühlt Verachtung oder Schuld. All diese Emotionen hält er in einer Balance und kann sie je nach Situation zulassen oder unterdrücken. Was passiert aber, wenn ein Mensch diese Ausgeglichenheit verliert? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Psychiater Dr. Samuel Pfeifer, Chefarzt der Klinik Sonnenhalde, im ersten Referat des 16. Riehener Seminars.

Wenn die Laune zur Krankheit wird

„Stimmungsschwankungen zwischen Normalpsychologie, Borderline und Bipolar“ – schon der Titel des Referats zeigte das weite Spannungsfeld der Thematik. Borderlinestörungen sind oft eine „unerbittliche Achterbahnfahrt der Gefühle“, wie Pfeifer mit klinischen Beispielen zeigte. Dabei können die Stimmungen innert Minuten umschlagen und halten oft nur Stunden an. Bei der bipolaren Störung gibt es dagegen abgrenzbare Phasen von Depression und Manie, die über Wochen oder gar Monate andauern. Derartige Schwankungen beeinträchtigen das ganze Leben eines Menschen. Das Problem beschränkt sich aber nicht auf die Betroffenen: Auch die Angehörigen bekommen diese Launen und Ausbrüche zu spüren und müssen in die Therapie mit einbezogen werden.

Das Gehirn – ein Lernorgan

Das zweite Referat des Tages hielt Professor Konrad Michel, Bern. Er behandelte die Erkenntnisse der neurobiologischen Forschung im Zusammenhang mit Stimmungsschwankungen. Michel zeigte den Zuhörern, an welcher Stelle im Gehirn die Störungen sichtbar werden. Psychische Störungen hätten ihren Ursprung in der Biologie. Dies führt dazu, dass heute die „künstliche Trennung zwischen Psychologie und Biologie definitiv zu Grabe getragen wird“, wie Michel sagte. „Das Gehirn ist ein Lernorgan“, sagte er weiter „und es lernt den Umgang mit dem Positiven genauso wie den mit dem Negativen.“

Für die praktische Therapie heisst das, dass Menschen, die in langen Depressionen steckten, „gelernt“ haben, depressiv zu sein. Genauso kann sich ihr Hirn aber noch an die positiven Seiten des Lebens erinnern. Daran müsse die Therapie anknüpfen, um depressive Menschen wieder zurück zur Gesundheit zu führen.

Klagen als Weg

„Wer leidet, muss klagen“, betonte Pfarrer Rolf Sons in seinem Referat. Als Seelsorger hat er die Erfahrung gemacht, dass nur geheilt werden kann, wer dem Leiden Ausdruck gibt. Er illustrierte dies anhand der Klagepsalmen der Bibel. Diese Psalmen zeigten deutlich, wie die Psalmbeter tiefe Nöten und Depressionen durchlitten. In ihrer ehrlichen und unverblümten Art würden sie heute so manchem Depressiven den Weg zur Heilung weisen.

Musik als Heiltherapie

Dass depressiven Menschen nicht nur mit Gesprächen geholfen werden kann, zeigte auch der Pianist Charles Jann. Er umrahmte den gesamten Anlass mit Klaviermusik, die von der klassischen Bachkantate bis hin zum Gospel alle Stimmungen enthielt. Das Nachmittagsprogramm umfasste vier Workshops, die vor allem die konkreten therapeutischen Massnahmen im Blickfeld hatten. Unter anderem wurde auch hier die heilende Wirkung von Musik besprochen.

Die Stimmung aushalten

Ein Höhepunkt des Seminars war das Gespräch mit Ruedi Josuran, Radiomoderator bei Radio DRS. Er erzählte, wie er mit Stimmungsschwankungen umgeht. Durch die Depression habe er sich selber kennen gelernt und herausgefunden, wer er selber sei und wer nicht, sagte Josuran. Zwischendurch spielte Pianist Jann immer wieder ein Stück und versuchte die Stimung des Gesprächs darin aufzugreifen.

Auf die Frage, wie er mit Musik umgehe, antwortete Josuran: „Musik hat die Möglichkeit, Schichten in mir aufzudecken, die ich sonst nicht hervorbringen könnte. Ich gehöre zu denjenigen, die ganz bewusst Musik hören, die ihrer Stimmung entspricht. Negativstimmungen müssen nicht möglichst schnell in Positivstimmungen verwandelt werden.“ Denn sie hätten ihren eigenen Sinn und würden in ihrer eigenen Dynamik zum Ziel führen.

Samuel Pfeifer, Chefarzt der Klinik Sonnenhalde in Riehen, zog eine positive Bilanz des Tages: „Unser Ziel ist es, Fachpersonen unterschiedlicher Hintergründe ins Gespräch zu bringen und Themen der Psychiatrie allgemein verständlich zu machen. Wir haben das komplexe Thema nicht nur fachlich, sondern auch emotional spürbar aufbereitet.“

Quelle: Livenet/Klinik Sonnhalde

Datum: 02.11.2005

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