Christliche Studie zu Sexualität

Sex: Prägungen, Einstellungen und Lebensweisen

In der Studie wurden 10'000 Christen zu ihrem Sexualleben befragt.
Über 10‘000 Christen wurden für die empirica Sexualitätsstudie befragt. Das Buch «Sexualität und Glaube» fasst die quantitativen Ergebnisse zusammen und zeigt ein überraschendes Bild.

Manuel Schmid (Theologe und Mitleiter von reflab) betont: «Dieses Buch ist ein Meilenstein für die kirchliche Auseinandersetzung mit Sexualität. Auf Basis einer breit angelegten Studie zeigt es eindrucksvoll, wie vielfältig, widersprüchlich und spannungsgeladen christliche Sexualethiken heute gelebt werden. Es liefert nicht nur Daten, sondern eröffnet mutig neue Gesprächsräume für Gemeinden, Seelsorge und Theologie.»

Enttäuschend, aber gut

2023 veröffentlichte das Institut empirica einen Aufruf an Christinnen und Christen, mitzumachen bei einer grossangelegten Studie zum Thema Sexualität. 10'600 Personen liessen sich darauf ein und beantworteten anonym Fragen zu ihrem Verständnis von Sexualität, ihrer Beziehung zum eigenen Körper, zu ethischen Einstellungen und natürlich zu ihrer gelebten Sexualität.

Die Kritik begann bereits mit der Umfrage: Einer Teilnehmerin war die Erwähnung von Selbstbefriedigung zu viel, weil sie diese nie praktizierte, andere fanden sich mit ihren speziellen Vorlieben und Prägungen nicht wieder. Und so ging es weiter. Bis dahin, dass einige die Studie insgesamt ablehnten (immer noch ablehnen), weil im Bericht gegendert wird, und andere, weil ihnen die Diversifizierung nicht weit genug geht. Willkommen in der realen Welt, wo Christen versuchen, über das Thema Sex zu reden – oder dem Gespräch auf ihre Weise aus dem Weg zu gehen.

Ein Buch wie «Sexualität und Glaube», das diese Studie allgemeinverständlich zusammenfasst und dabei wissenschaftlich relevant bleibt, muss viele Erwartungen enttäuschen. Ist es deshalb schlecht? Natürlich nicht. Wenn Forschende ein polarisierendes Thema aufgreifen und dazu eine Umfrage machen, kann das Ergebnis nicht einheitlich sein. Zum ersten Mal liegt hiermit eine Sexualitätsstudie vor, in der religiöse und hochreligiöse Menschen befragt werden. Das ist eine wunderbare Grundlage, um wegzukommen vom unrealistischen «wir glauben ja alle, dass…» und der Wahrheit ins Auge zu sehen – oder sollte man sagen: den Wahrheiten?

Die Wirklichkeit ist bunt

Es ist keine Überraschung, wenn man beim Durchlesen der verschiedenen Antworten feststellt, dass die Meinungen weit auseinandergehen – und nicht nur bei Themen wie Homosexualität oder vorehelichem Sex. Sehr spannend wird die Darstellung der unterschiedlichen Fragen dadurch, dass sie nicht schwarz-weiss geschieht, sondern in Abstufungen. Plötzlich realisiert man: Es gibt mehr als Ja und Nein. Viele sind genauso unsicher in dieser Frage wie ich. Oder sie haben Vorbehalte, aber definitiv kein klares Nein. Vollends bunt wird die Wahrnehmung bei Themen, die nicht so medienwirksam diskutiert werden: Wie eng hängen meine Sexualität und meine Spiritualität zusammen? Wie zufrieden bin ich mit meinem Sexleben – ob ich nun verheiratet, zusammenlebend, verwitwet oder Single bin?

Kontext hilft

Die verschiedenen Fragen werden im Buch zwar grafisch aufgelistet, aber sie entfalten ihr Leben dadurch, dass sie im Kontext mit ähnlichen Fragen zusammen betrachtet werden. Hier hat das Buch einige Überraschungen zu bieten. Dazu kommen Kommentare etlicher Fachleute aus sehr unterschiedlichen Richtungen, die sehr hilfreich sind, um ein betrachtetes Thema noch einmal pointiert zusammenzufassen. Mindestens genauso hilfreich ist allerdings der jeweilige Kapiteleinstieg mit der Rubrik «Fake oder Fakt», in der ein paar Klischees aufgelistet sind, die sich im Laufe des Kapitels als völlig richtig oder aber als Gerücht herausstellen.

Die Lösung heisst lesen und reden

«Wir wollen Menschen sprachfähiger machen – auch über Themen, die bisher in Partnerschaften, Familien sowie Kirchen und Gemeinden verschwiegen wurden», erklärt das Autorenteam rund um Tobias Künkler. Selbstverständlich deckt die Studie Meinungsunterschiede auf, aber die breite Behandlung von Fragen, die sehr viele Menschen betreffen, fordert geradezu zum Reden auf. Wenn einerseits zweidrittel aller Befragten sagen, dass ihre Gemeinde ihnen vermittelt hat, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten (S. 88), andererseits ebenfalls zweidrittel erklären, «dass in ihrer Gemeinde nur selten über körperliche Bedürfnisse gesprochen wird» (S. 90), dann zeigt das ein Missverhältnis, das sich nur im Gespräch lösen lässt.

«Sexualität und Glaube» ist kein Antwortbuch. Es listet «Prägungen, Einstellungen und Lebensweisen» auf, wie es im Untertitel heisst. Und diese bilden samt vieler Fakten die Grundlage des Buchs. Auf der Suche nach schnellen Rezepten ist man hier verkehrt, aber wer sich mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen möchte, wer die durchaus positive Spannung zwischen Sex und Glauben auch durch die Augen anderer wahrnehmen möchte, der wird fündig. Weil Sexualität alle Menschen betrifft, lohnt es sich, sich mithilfe dieses Buchs auf den Weg zu einer versachlichten Debatte über kontroverse Themen zu machen, auch über bestehende Gräben hinweg.

«Vermuten und schätzen war gestern – jetzt wissen wir, wie es um die Sexualität bei (hoch)religiösen Menschen bestellt ist. Einiges bestätigt sich, anderes überrascht und bestürzt. Auf jeden Fall ist diese Studie, für dich ein nur aufrichtig danken kann, ein Plädoyer gegen Vorurteile und für einen ehrlichen und offenen Austausch. Unbedingt lesen und dann reden!» (Michael Diener, Theologe und Mitglied des Rats der EKD)

Teil 2 zu den qualitativen Ergebnissen der Studie folgt in wenigen Tagen bei Livenet. Über die Hintergründe zur Sexualitätsstudie schreibt Tobias Faix als Mitautor hier.

Zum Buch:
«Sexualität und Glaube. Prägungen, Einstellungen und Lebensweisen» 

Zum Thema:
Culture Shift Konferenz: Es geht um Identität, Körper und Sexualität 
Paul Bruderer: Über Sex predigen kann Folgen haben
Zehn Lebensprinzipien: Leidenschaften im richtigen Rahmen geniessen

Datum: 06.10.2025
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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