Führt liberale Theologie in den Untergang?
Ross Douthat verweist auf die Mitgliederverluste aller US-Traditionskirchen, etwa Anglikaner, Lutheraner, Reformierte, Methodisten, die sich einer liberalen Theologie verschrieben haben und Gesellschaftspolitik in den Vordergrund stellen. Dem jüngsten Jahrbuch der Kirchen und religiösen Sondergemeinschaften in Nordamerika zufolge ist die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika (4,3 Millionen Mitglieder) in einem Jahr um sechs Prozent geschrumpft. Die reformierte Presbyterianische Kirche USA verzeichnete ein Minus von fast 3,5 Prozent (2,7 Millionen) und die Evangelisch-methodistische Kirche um 1,2 Prozent (7,7 Millionen), auch weitere Kirchen verloren Mitglieder in Millionenhöhe. Douthat führt zudem an, dass der Gottesdienstbesuch bei den Anglikanern im vergangenen Jahrzehnt um 23 Prozent gesunken sei.
Anglikaner: Flexibel bis zur Selbstaufgabe
Nach Ansicht des Katholiken Douthat geben die Anglikaner heute in etwa ein solches Bild ab, wie es die römisch-katholische hätte, wenn der Papst jeden Reformvorschlag annähme, den liberale Gelehrte dem Vatikan empfehlen. Douthat: «Sie hat noch Priester und Bischöfe, Altäre und Kirchenfenster, aber sie ist in der Lehre flexibel bis zur Selbstaufgabe, fast jeder Form sexueller Liberalisierung freundlich zugetan, bereit, das Christentum mit anderen Religionen zu vermengen, und darauf erpicht, Theologie zugunsten säkularer politischer Anliegen herunterzuspielen.»
Tiefgründige Reformer
Doch Douthat lässt auch theologisch konservative Protestanten und Katholiken nicht ungeschoren. Am erfolgreichsten seien häufig jene politisch Konservativen, die ein seichtes Gesundheits- und Wohlstands-Evangelium predigten. Konservative hätten auch keinen Grund, selbstgefällig auf den Niedergang der Liberalen zu blicken. Denn die Überzeugung, dass der Glaube soziale Reformen wie auch die Frömmigkeit fördern solle – sei früher eine «immens positive Kraft» gewesen. Sie habe etwa die Bürgerrechtsbewegung vorangetrieben. Niemand könne sich ihre Auslöschung wünschen, sondern sie müsse ihre religiöse Existenzberechtigung wiederfinden. Frühere Repräsentanten des «sozialen Evangeliums» seien tief gegründet gewesen in Bibelstudium, Gebet und Gottesdienst.
Metaxas: Keine «klammheimliche Freude»
Der evangelische Bestsellerautor und Bonhoeffer-Biograf Eric Metaxas stimmt dieser Analyse weitgehend zu. Er weist in der Internet-Zeitung Christian Post darauf hin, dass auch theologisch konservative Kirchen schrumpfen, etwa der Bund der Südlichen Baptisten – mit gut 16 Millionen Mitgliedern die grösste protestantische Kirche in den USA. Aber nicht nur deshalb verbiete sich «klammheimliche Freude» über den Niedergang der Traditionskirchen. Metaxas verweist auf den Theologen Timothy George, der schreibt, dass auch die grössten US-Kirchen, so etwa die römisch-katholische mit 68,2 Millionen Mitgliedern – Versuchungen ausgesetzt sei, «das verblassende Ethos des liberalen Protestantismus nachzuahmen».
Die Absicht sei zwar ehrenhaft, aber die Folgen wahrscheinlich katastrophal: «ein soziales Evangelium, das allein sozial ist aber kein Evangelium». Daraus entstehe eine Kirche, die nichts anderes mehr zu sagen habe, als das, was säkulare Eliten schon längst und meist besser gesagt hätten. George sieht die Gefahr eines «horizontalen Glaubens», der das Zutrauen in Gottes erlösende Liebe verliere.
Beten für Christen
Der Niedergang der liberalen Kirchen sollte Evangelikale vor allem zur Fürbitte anregen. George: «Es gibt keinen Anlass für Selbstgerechtigkeit.» In jeder Kirche seien treue Christen zu finden, die gegen den Strom schwimmen und «ihre Knie nicht vor Baal beugen». Sie seien oft Nachstellungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Es gelte darum zu beten, dass sie standhaft bleiben und geistliche Gemeinschaft finden. Diese Fürbitte sollte begleitet werden von Gebeten für andere, die neue Gemeinden gründen.
Datum: 25.07.2012
Quelle: idea