Warum Weissrussland vor dem «Aussterben» steht
«Drei Jahre lang hat das weissrussische Statistikministerium keine Daten zu Geburts- und Sterberaten veröffentlicht», analysiert Zmicier Chviedaruk. Der in der weissrussischen Hauptstadt Minsk geborene Buchautor und Kolumnist bei «Christian Network Europe» (CNE) erklärt weiter: «Wir erfuhren, wie viele Kartoffeln geerntet wurden, wie gross die Karottenernte war und wie viele Traktoren für simbabwische Bauern produziert wurden … aber nicht, wie viele unserer Landsleute geboren oder gestorben waren.»
Vor Kurzem wurde das Schweigen gebrochen. «Und viele waren schockiert: Im Jahr 2024 starben doppelt so viele Weissrussen, wie geboren wurden. Nur 58’000 Babys kamen zur Welt, während 115’000 Menschen starben. Für ein Land mit lediglich zehn Millionen Einwohnern ist das eine alarmierende Nachricht. Die Rechnung, wie viele Weissrussen in 50 Jahren bei solch einer Entwicklung übrig bleiben, ist schnell gemacht.» Die Geburtenrate liegt bei 1,23. Um die Bevölkerung auf dem gleichen Level zu halten, wäre eine Rate von 2,1 nötig.
Rahmenbedingungen gut
Manche seien der Meinung, die niedrige Geburtenrate sei ausschliesslich eine Folge der schlechten sozialen Bedingungen in Weissrussland. Seit Jahren herrscht eine politische Krise, es gibt westliche Sanktionen und zudem den Krieg im Nachbarland Ukraine.
Chviedaruk schreibt: «Doch wie stichhaltig ist dieses Argument? Schauen wir uns die materiellen Rahmenbedingungen für Familien mit Kindern genauer an: In Belarus erhalten Familien mit vielen Kindern zum Beispiel kostenlose Wohnungen. Auf den ersten Blick mögen die staatlichen Leistungen gering erscheinen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage sind sie jedoch beachtlich. Während der Mutterschutz in vielen Ländern nur wenige Monate dauert, sind es in Belarus ganze drei Jahre … davon sechs Monate vollständig bezahlt.»
Hinzu kommen Einmalzahlungen: Rund 1’200 Schweizer Franken für das erste Kind, knapp 1’600 Franken für jedes weitere. Zudem gibt es monatlich 160 Franken während der gesamten Elternzeit, was für belarussische Verhältnisse eine stattliche Summe ist.
Kinderreiche Familien werden belohnt
Bis vor Kurzem lief ausserdem ein Programm, das kinderreiche Familien zusätzlich belohnte: Ab dem dritten Kind konnten Eltern nicht nur eine Auszeichnung und ein Zertifikat erhalten, sondern auch ein extrem günstiges Darlehen für eine Wohnung oder sogar eine kostenlose Wohnung. Angesichts der hohen Immobilienpreise im Land war das eine enorme Erleichterung.
Zmicier Chviedaruk fasst zusammen: «Doch die Realität sah oft anders aus: Viele nutzten die erhaltenen Wohnungen nicht für die Familie, sondern vermieteten oder verkauften sie. Das Geld floss häufig in andere Dinge … nicht in die Kindererziehung. Zahlreiche Kinder solcher materialistisch motivierten Familien landeten letztlich in Heimen oder wuchsen in schwierigen Lebensumständen auf.»
Das eigentliche Hindernis
Wer genauer hinsehe, könne erkennen: Der Hauptgrund für die Kinderlosigkeit liegt weniger in der materiellen Versorgung als vielmehr in einer zutiefst materialistischen Weltanschauung. Zmicier Chviedaruk bilanziert: «Kinder werden nicht mehr als Segen Gottes gesehen, sondern als Störung des persönlichen Komforts oder Hindernis auf dem Weg zu Karriere und Selbstverwirklichung.»
Im Mittelpunkt stehe das «Ich», beobachtet Zmicier Chviedaruk weiter: «Dieses Denken spricht viele an, denn seit dem Sündenfall wollen Menschen, dass sich alles um sie selbst dreht. Wenn Kinder nicht den eigenen Interessen dienen, verzichtet man lieber auf sie. Immer öfter ersetzen Weissrussen Kinder durch Hunde oder sie bleiben ganz kinderlos. Ein Blick in die sozialen Medien genügt, um das zu erkennen. Damit wird der Materialismus zu einer ernsten Gefahr für das Überleben unseres Volkes.»
Für weissrussische Christen ein ernstes Thema
Natürlich ist ein niedriger Nachwuchs nicht nur ein weissrussisches Problem. «Auch in Westeuropa machen sich viele Menschen Sorgen über ähnliche Entwicklungen», weiss Zmicier Chviedaruk. «Für Christen in Weissrussland ist dies jedoch ein besonders ernstes Thema.»
Wie also lässt sich also der drohende Untergang verhindern? Zmicier Chviedaruk: «Wir haben gesehen: Es geht weniger um soziale Umstände als vielmehr um die innere Haltung. Entscheidend ist die Wiederentdeckung einer ganzheitlich christlichen Weltanschauung. Sie hilft, Elternschaft nicht durch die Brille moderner Vorurteile, sondern im Licht von Gottes Geboten und der Heilsgeschichte zu betrachten.»
Der Schöpfer habe den Menschen nicht nur zu seinem Ebenbild gemacht, sondern ihm auch die Aufgabe gegeben, die Erde zu gestalten und Kinder grosszuziehen.
Nachkommen stets einbezogen
Die Heilige Schrift mache zudem deutlich: «Kinder sind Teil von Gottes Bund. Ob bei Adam, Noah, Abraham oder David – immer waren die Nachkommen einbezogen. Und auch wenn sich die Heilsgeschichte letztlich auf Christus konzentriert, ist klar: Die Segnungen des Bundes galten nie nur dem Einzelnen, sondern stets auch seinem Haus.»
Gott offenbare sich selbst als Vater, der Sünder ohne Gegenleistung in seine Familie aufnimmt, allein durch das Werk Jesu Christi. «Für ihre Rettung gab er seinen einzigen Sohn hin. Dieses Vorbild selbstloser Vaterschaft ruft auch uns dazu auf, verantwortungsvolle Eltern zu sein. Heute beten Christen in Weissrussland darum, dass das Evangelium durch die Kraft des Heiligen Geistes unser Land erneuert. Sie hoffen, dass die Menschen Elternschaft wieder wertschätzen und viele Männer und Frauen die Freude an einer vollständigen Familie neu entdecken; einer Familie, die nicht als Last, sondern als Bereicherung verstanden wird. Als Teil eines gelingenden Lebens, so wie Gott es für uns vorgesehen hat.»
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Datum: 11.09.2025
Autor:
Zmicier Chviedaruk / Daniel Gerber
Quelle:
CNE / Übersetzung: Livenet