Jeder fünfte Spitzensportler kämpft mit Depression
Eine von Ansgar Thiel geleitetet Studie zeigt, dass fast die Hälfte der befragten Athleten über Phasen von Ausgebranntsein und Kraftlosigkeit berichten, fast 30 Prozent gaben an, mindestens einmal im Monat an Schlafstörungen zu leiden und mehr als ein Fünftel klagte über gelegentliche Depression und Melancholie.
Thema wird tabuisiert
Das Problem sei aber, so Thiel, "dass diese Probleme aufgrund der Fokussierung auf die körperliche Leistungsfähigkeit weitestgehend tabuisiert werden". Bei der Jagd nach dem sportlichen Erfolg ist für das Zeigen von Schwäche kein Platz.Gesund sein heisst im Spitzensport, sportlich leistungsfähig zu sein. Spitzensportler sind daher im Allgemeinen sehr leidensfähig, wenn sie ihre sportlichen Ziele erreichen wollen. Sich an körperlichen Grenzen zu bewegen, ist für sie Normalität. Für den Erfolg ernähren sie sich meist bewusst, rauchen kaum und trinken wenig Alkohol. Und sie erleben ihr Leben und die Welt in überdurchschnittlichem Masse als sinnhaft, verstehbar und beeinflussbar - jedenfalls solange die sportliche Leistung stimmt.
Der Studie zufolge ist im Spitzensport vor allem der Umgang mit Verletzungen problematisch. "Der extreme Leistungsdruck führt zwangsläufig dazu, dass langfristige Gesundheitsrisiken bei einem Grossteil der Athleten und auch der Trainer ausgeblendet werden", so Thiel. Co-Autor Jochen Mayer fügt hinzu: "Eigentlich werden nur traumatische Verletzungen wie etwa Frakturen, Sehnen- oder Bänderrisse, die ein Weitermachen unmöglich machen, wirklich ernst genommen.
Beschwerden werden verdrängt
Körperliche Schmerzen, Überlastungssyndrome oder chronifizierte Beschwerden werden oft solange nicht thematisiert, bis die Athleten ausfallen." Die Schuld ist nach Thiel dabei vor allem im System zu suchen. "Die Athleten wollen unbedingt Wettkämpfe bestreiten. Dafür verheimlichen oder ignorieren sie nicht selten Schmerzen und Beschwerden. Die Trainer wiederum, die grundsätzlich eigentlich offen für die Beschwerden ihrer Athleten wären, geben sich damit zufrieden, wenn ein Athlet sagt, es sei alles in Ordnung."Zur Bekämpfung von Schmerzen nehmen einige Spitzenathleten Schmerzmittel in einem Masse ein, dass die Schmerzmittel produzierende Pharmaindustrie als Sponsor einsteigen könnte, wie es ein Spieler in einem Interview ausdrückte. Der Wiedereinstieg nach Verletzungspausen erfolgt häufig zu früh, was wiederum nicht selten regelrechte Verletzungsserien nach sich zieht. Athleten und Trainer verdrängen häufig den Gedanken an potenzielle Folgeschäden und Nebenwirkungen eines solchen Verhaltens. In diesen Fällen ist auch die von den Verbänden und Vereinen angebotene medizinische Versorgung keine Hilfe. Der Studie zufolge ist der Arzt im Normalfall in erster Linie Reparateur. Athleten, aber auch Trainer, verlangen vor allem "Fit machen", nicht "Gesund machen". Dies gilt, solange die Athleten trainieren oder einen Wettkampf bestreiten können.
Kirche fordert andere Kultur
Junge und sensible Profifussballer leiden nach Ansicht des Sportbeauftragten der württembergischen evangelischen Landeskirche, Volker Steinbrecher, unter einem enormen Druck durch Fans, Vereine und Medien. Nach dem Suizid des deutschen Nationaltorwarts Robert Enke fordert Steinbrecher deshalb eine andere Kultur im Profifussball. „Schwächen müssen erlaubt sein", schreibt der Sportbeauftragte in einem Beitrag für die Internetseite der Evangelischen Akademie Bad Boll.Sensibilität dürfe auch im Profifussball nicht mehr als Makel angesehen werden. Beim Fussball komme es letztlich auf seine Inszenierung an, und gerade deshalb sei es wichtig, dass über Tabuthemen wie Krankheit gesprochen werde.
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Dossier Depression
Quellen: epd/Ärztezeitung/Livenet
Datum: 19.11.2009