Wenn es konkret wird
Der Stellenwert der Ethik im politischen Alltag wird unterschiedlich beurteilt. Für den Thuner EVP-Grossrat Marc Jost ist klar: «Politiker sollten sich dafür einsetzen, dass der in der Bundesverfassung verankerte Schutz der Menschenwürde nicht weiter aufgeweicht wird.» Das Problem sieht Jost in der Definition der Menschenwürde: Sie werde heute in der Gesellschaft «fast ausschliesslich mit Lebensqualität gleichgesetzt». Mit der Folge, dass zum Beispiel die unverlierbare Würde des werdenden Kindes auf der Strecke bleibe.
Was braucht das Kind?
In ihrer Entgegnung bestätigte die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel den Vorwurf indirekt. Sie wies auf die schwierige Situation von Müttern hin, die sich für eine Abtreibung entschliessen, mit dem Argument, ein Kind solle in einem guten Umfeld aufwachsen können. Humbel bezog sich andererseits auf den Tod einer Freundin, die lange an einer unheilbaren Krankheit leiden musste und nach aktiver Sterbehilfe verlangte. Die Nationalrätin vermied es aber, daraus politische Postulate abzuleiten.Lehrstuhl für Palliativpflege
Hier wurde die Arboner SVP-Kantonsrätin Marlies Näf-Hofmann deutlicher: «Die Schweiz braucht ein flächendeckendes Angebot der Palliativmedizin.» Ebenso fordert sie einen Lehrstuhl für Palliative Care. Es gebe medizinisch nur wenige Fälle, in denen die Palliativpflege die Beschwerden nicht genügend lindern könne. Wenigstens in ihrem Kanton sei es gelungen, durch den Druck einer Volksinitiative die Palliative Care in den kantonalen Spitälern einzuführen, nachdem sie zuvor mit ihren parlamentarischen Vorstössen nicht durchgekommen sei.Exit den Zugang verwehren
Näf-Hofmann hat auch erwirkt, dass Exit in den Thurgauer Kantonsspitälern keinen Zugang zu Kranken hat. Mit ihren Bemühungen, die Nichtdiskriminierung von Hebammen zu erreichen, die sich aus Gewissensgründen nicht an Abtreibungen beteiligen wollen, sei sie aber gescheitert. Gute Lösungen seien oft nur hinter den Kulissen zu finden, meinte Ruth Humbel, denn «sobald die Öffentlichkeit mithört, beginnt das Säbelrasseln».Am gleichen Strick ziehen
Die Luzerner SVP-Nationalrätin Yvette Estermann liebt dagegen den provokativen öffentlichen Auftritt für unpopuläre Anliegen wie ein Abtreibungsverbot oder den Einsatz für verfolgte Christen. Sie wünscht sich, dass die Christen in den Parteien vermehrt am gleichen Strick ziehen. Sie ist auch bereit, für ihre Vorstösse scharfe Kritik zu ernten: «Ich möchte, dass man von mir sagen kann: "Ich staune, mit welcher Würde sie diese Angriffe erträgt".»Der Einsiedler Abt Martin Werlen ermunterte die Politiker, nicht aus falscher Rücksicht auf Minoritäten oder weil man sich einer vermeintlichen Mehrheit anpassen wolle, auf den Einsatz für christliche Werte im politischen Alltag zu verzichten. Schliesslich gehöre immer noch die grosse Mehrheit der Schweizer einer christlichen Kirche an.
Politiker und Botschaft
«Der Politiker selbst ist die Botschaft», sagte der Kulturhistoriker, Familienlobby-Leiter und Zürcher Gemeinderat Daniel Regli, «er muss von Gott her wissen, wo er sich einsetzt, auch wenn 99 Prozent der Leute dagegen sind.» Der Begriff Menschenwürde erhält für ihn vor allem durch die «Gotteskindschaft» den entscheidenden Wert. Christliche Politik müsse heute die Menschen daran hindern, sich selbst zu zerstören.Abt Werlen warnte davor, Gesetz und Wertesystem gleichzusetzen. Für Christen gelte, sich mehr am Glauben als am Gesetz zu orientieren. Sie hätten immer in einem andern Wertesystem gelebt, als es die Gesetze widerspiegeln.
Neue Challenges
In seinem Schlusswort kündigte Marc Jost an, sich für einen Lehrstuhl für Palliative Care an der Universität Bern einzusetzen. Marlies Näf sieht den Kampf gegen eine Zulassung der Präimplantations-Diagnostik (PID) als ihre nächste Herausforderung. Ruth Humbel will einen Beitrag leisten, dem Wildwuchs bei der Sterbehilfe Grenzen zu setzen. Und Abt Martin Werlen ermutigte die Politikerinnen und Politiker, in heiklen Fragen klar Profil zu zeigen, nicht frömmlerisch, sondern als solche, die als Christ auch ganz Mensch sind.Sterbende sterben lassen
Das Podium in Quarten am Walensee fand im Rahmen der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Ärztinnen und Ärzte der Schweiz (AGEAS) und der Vereinigung Katholischer Ärzte der Schweiz (VKAS) statt.An der Tagung referierte Leiterin der Abteilung Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen, Monika Renz, übers Sterben. Sie hat 680 Sterbende begleitet und ist dabei auf erstaunliche Vorgänge gestossen.
Lesen Sie mehr zum Vortrag von Monika Renz: Was Sterbende erleben
www.ageas.ch
www.medcath.ch
Datum: 20.11.2009
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch