Urteile gegen Christen in Libyen

«Amnesty International» fordert Aufhebung

Die Altstadt von Tripolis
Die Sorge um das Schicksal von elf in Libyen inhaftierten Christen wächst, nachdem «Amnesty International» die Prozesse als zutiefst fehlerhaft und ungerecht verurteilt hat.

Die Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» fordert die sofortige Aufhebung der Urteile, die nach ihrer Einschätzung sowohl internationale Rechtsstandards als auch das grundlegende Menschenrecht auf Religionsfreiheit verletzen.

Der Fall betrifft neun libysche Männer, eine libysche Frau und einen pakistanischen Mann, die am 15. April 2025 zu Haftstrafen zwischen drei und 15 Jahren verurteilt wurden. Die Anklage lautete unter anderem auf «Beleidigung des Islam», «Verunglimpfung religiöser Heiligtümer und Rituale im Internet», «Aufruf zur Gründung einer verbotenen Gruppe» sowie «Förderung einer Änderung der grundlegenden Verfassungsprinzipien».

«Grob unfair»

«Amnesty International» erklärte, die Verfahren seien grob unfair gewesen: «Während des gesamten Prozesses, der im September 2024 begann, haben die Richter keine Zeugen gehört und keine Beweise gegen die Angeklagten geprüft», so «Amnesty International». «Sie befragten auch keine Mitglieder der ISA (‘Internal Security Agency’), deren Ermittlungen die einzige Grundlage für die Strafverfolgung waren. Die Anhörungen beschränkten sich darauf, dass die Richter die Anwesenheit der Angeklagten feststellten und die Anwälte deren Freilassung beantragten.»

Statt die Vorwürfe zu prüfen, ordneten die Richter wiederholt unbegründete Untersuchungshaft an und verzögerten das Verfahren. Die Christen waren im März 2023 von der in Tripolis ansässigen ISA wegen angeblicher Missionierung festgenommen worden. Unter ihnen befanden sich auch zwei US-Amerikaner, die jedoch nach wenigen Tagen ohne Anklage wieder freikamen. Für die übrigen begann eine Leidenszeit, die Folter, lang andauernde willkürliche Haft, Verweigerung rechtlichen Beistands und erzwungene Geständnisse umfasste.

Kein Verstoss gegen das Gesetz

«Staatsanwälte verweigerten allen Angeklagten ausser einem das Recht, beim ersten Verhör einen Anwalt ihrer Wahl hinzuzuziehen», so «Amnesty International» weiter. «Zudem wurden keine Pflichtverteidiger bestellt, sodass die Befragungen ohne Anwälte stattfanden.»

Ursprünglich war den Christen Apostasie vorgeworfen worden – ein nach Artikel 291 des libyschen Strafgesetzbuches mit dem Tod zu ahndendes Delikt. Diese Anklage wurde jedoch im Januar 2024 fallen gelassen, nachdem die Staatsanwaltschaft festgestellt hatte, dass sie keine rechtliche Grundlage habe: «Die Todesstrafe für Apostasie nach Artikel 291 des Strafgesetzbuches wurde aufgehoben, nachdem die Angeklagten eine Reueerklärung abgegeben hatten.»

Amnesty betonte, dass die Verbreitung des Christentums nach libyschem Recht nicht strafbar sei. Im Gegenteil räume sogar die Anklageschrift ein: «Bei der Überprüfung der Bestimmungen des Strafgesetzbuchs sowie der ergänzenden Gesetze findet sich kein Artikel, der das Werben für andere Religionen verbietet oder unter Strafe stellt.»

Konstruierter Vorwurf

Trotzdem hielten die Staatsanwälte an weiteren Vorwürfen fest – insbesondere gegen den pakistanischen Angeklagten. Ihm wurde unterstellt, nach Libyen gekommen zu sein, um eine verbotene christliche Gruppe zu gründen. Tatsächlich, so «Amnesty International», lebt er seit 1992 in dem Land, wohin er mit seiner Familie im Alter von zehn Jahren gezogen war.

Auch die Angehörigen leiden schwer unter der Inhaftierung. Die Frau eines Häftlings, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, berichtete von Monaten voller Angst und Verzweiflung: «Mein Mann erzählte dem Anwalt, dass er seit seiner Festnahme körperlich und seelisch gefoltert wurde.» Die Ungewissheit sei quälend gewesen: «Jeden Tag hofften wir auf ein Wunder. Es gab keinerlei Informationen über ihn, und ich flehte buchstäblich um einen Lebensbeweis. Am 8. August 2023 hörte ich nach fünf Monaten zum ersten Mal seine Stimme am Telefon. Die Erleichterung war unbeschreiblich.»

Tochter war noch ein Baby

Kurz vor der Urteilsverkündung sprach ihr Mann auch mit seiner Tochter. Das Mädchen, das noch ein Baby war, als er verhaftet wurde, wird in diesem Jahr vier Jahre alt. «Sie kennt ihren Vater nur von Fotos», erzählt die Mutter. «Jedes Mal, wenn sie fragt, wann er endlich nach Hause kommt, zerreisst es mir das Herz. Ich sage ihr, dass er bald wieder bei ihr sein wird.»

«Amnesty International» fordert die libyschen Behörden auf, alle von der ISA betriebenen Verfahren umgehend zu überprüfen und unabhängige, unparteiische und effektive Ermittlungen zu mutmasslichen Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Verschwindenlassen und willkürlicher Haft einzuleiten. «Die libyschen Behörden müssen die Urteile gegen jene sofort aufheben, die ausschliesslich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert wurden.»

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Datum: 26.08.2025
Autor: Duncan Williams/Daniel Gerber
Quelle: Christian Today/gekürzte Übersetzung: Livenet

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