«Ich habe nach der Abwahl von Bundesrat Blocher maximal fünf geharnischte Reaktionen bekommen», stellt EVP-Nationalrat Walter Donzé fest. «Die meisten Leute reagierten dankbar, weil sie wieder Vertrauen in unsere Institutionen gewonnen haben.» Den Hauptgrund für die Abwahl sieht Donzé im «arroganten Auftritt der SVP». Erstaunt zeigt er sich über freikirchliche Christen, die Blocher «den Nimbus des besonders gläubigen Politikers» geben. «Ich erlebe Samuel Schmid als gottesfürchtigeren Bundesrat.» Die «Blocher-Geschichte» habe viele Reaktionen ausgelöst und auch zu einigen Parteiaustritten geführt, stellt EVP-Zentralsekretär Joel Blunier fest. «Bei manchen EVP-Leuten geniesst Blocher Heiligenstatus, aber es gibt auch genau das Gegenteil.» Sorgen macht sich der EVP-Sekretär darüber, wie schnell manche Christen «einteilen, urteilen und richten». Weit über 100 Mails bekam EDU-Nationalrat Christian Waber nach den Bundesratswahlen. Die meisten Schreiber reagierten aber auf seinen Austritt aus der SVP-Fraktion: «Die Hälfte hätte es gern gesehen, wenn ich geblieben wäre. Doch 99 Prozent sagten, sie akzeptierten meinen Schritt, weil er glaubwürdig sei.» Waber ist «erbost und traurig» darüber, dass man jubeln kann, wenn ein Mann wie Blocher abgewählt wird. Christen hätten jeden Politiker an seinen Früchten zu prüfen. Blocher habe als Bundesrat vieles erreicht und zum Wohl des Landes beigetragen. Spaltet das «Phänomen Blocher» die freikirchliche Szene? «Diese Spaltung ist bereits da», sagt Waber. «Auch in unseren Kreisen will man die Welt retten ohne Retter und ruft zum Beispiel in der Sozialpolitik nach einer falschen Barmherzigkeit. Und die geistlich-spirituelle Umweltverschmutzung wird viel zu wenig angeprangert.» Der abgewählte EDU-Nationalrat Markus Wäfler sagt es noch drastischer: «Im evangelikalen Lager gibt es heute zwei Gruppierungen: Die eine ist Mitte-links und wählt SP, Grüne und EVP, und die andere ist Mitte-rechts und wählt SVP und EDU. Die Gruppe, die links wählt, wächst mehr.» Wäfler spricht von einer «zunehmenden Vermischung von sozialistischem Humanismus mit dem Evangelium». Der neue Gstaader SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal reagiert gelassen: «Ich bin dankbar, dass ich auch eine solche Situation Gott hinlegen kann. Unser Land ist in seiner Hand. Wir sind nur seine Werkzeuge.» Von Siebenthal steht hinter dem Kurs seiner Fraktion: «Geben wir unserer Fraktion doch zwei Jahre Zeit, um zu sehen, was die Opposition bringt. Ich habe auch mit dem Schmid Sami gesprochen. Er sagte mir: ‹Im Moment gibt es keinen andern Weg, denn eine Spaltung darf es nicht geben.› Das hat mir geholfen.» Bundesrat Schmid habe im Saanenland viele Anhänger, weil er gemässigt auftrete, erklärt der neue SVP-Nationalrat. Anderseits kenne er auch viele tiefgläubige Christen, die Blocher für einen «Super-Typ» hielten. Er wünschte sich jedenfalls, dass Christen vermehrt Parteiversammlungen besuchten und sich politisch informierten. «Ich habe erst am Tag vor der Bundesratswahl gemerkt, dass Vorbereitungen für eine Abwahl Blochers laufen», berichtet der neue Liestaler SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. «Nach der Abwahl verspürte ich schon eher ein Element des Aufatmens. Blocher hat viele Leute verletzt.» Danach habe er «viele markante Reaktionen» erhalten, überwiegend positive, aber auch differenzierte: «Man hat unterschieden zwischen der politischen und der menschlichen Situation.» Von einer politischen Spaltung innerhalb seiner Kirche, der EMK, kann Nussbaumer nichts sehen. Gewiss würden soziale Fragen und die Bewahrung der Schöpfung heute stärker betont. Von links-grüner Tendenz will er nicht reden. «Uns eint als christliche Kirche auch nicht die politische Frage!» Von politisch bedingten Spaltungen in freikirchlichen Gemeinden ist Max Schläpfer nichts bekannt, auch wenn er sie für denkbar hält: «Christoph Blocher ist ein so profilierter und kompromissloser Politiker, dass er in alle Gruppierungen Spaltungen bringt.» Blocher liege politisch in vielen Punkten richtig, meint der Präsident des Verbandes der evangelischen Freikirchen und Gemeinden (VFG), doch er spalte vom Stil her. Christen sollten auch einen Bundesrat gemäss der Bibel prüfen und «eine gesunde Sicht für das Gute behalten». Der VFG-Präsident erinnert an den Auftrag der christlichen Gemeinde: «Die Gemeinde hat keinen politischen Auftrag. Sie soll das Evangelium predigen. Doch der einzelne Christ hat eine Bürgerpflicht.» Ein links-grüner Trend unter freikirchlichen Christen, wie behauptet? «Die verschiedenen Freikirchen haben unterschiedliche politische Prägungen», meint Schläpfer. «In einzelnen Verbänden mag es links-grüne Tendenzen geben.» Wichtig bleibe, fügt der VFG-Präsident bei, dass die Gemeinde das Gebet für die Regierenden nicht vernachlässige. Dann könne sie auch im Glauben akzeptieren, dass Gott selbst in turbulenten politischen Zeiten seine Hand im Spiel habe.Von Mails überschüttet
In Gottes Hand
Differenzierte Reaktionen
«Blocher bringt Spaltungen»
Datum: 18.01.2008
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz