Leiden mit Ende

«Glaube ich trotzdem, dass Gott es gut meint mit mir?»

Irene Wehrli mit ihrem Hund Grace
Irene Wehrli ist Pflegefachfrau. Sie betreut Menschen mit psychischen Herausforderungen. Das sie selbst einmal dazu gehören würde, hätte sich die Powerfrau nicht vorstellen können. Nach einem langen dunklen Weg ist es heute wieder hell um sie.

«Wir wollten jung Eltern werden, haben mit 24 und 25 Jahren geheiratet und ein Jahr später war die erste Tochter da», erzählt Irene Wehrli. Thomas und Irene Wehrli flogen mit der Tochter nach Australien, wo sich das Paar in einer christlichen Reha für drogenkranke Menschen einsetzte. Damit überbrückte es die Zeit, bevor Thomas seine Ausbildung zum Sozialpädagogen bei der Gott-hilft-Stiftung in Zizers beginnen konnte. Der gelernte Schreiner hatte zuvor schon geholfen, ein Kinderheim auf christlichen Werten aufzubauen, und gemerkt, dass hier sein Herz schlägt.

Als vierköpfige Familie kehrten sie in die Schweiz zurück und er begann das berufsbegleitende Studium. «Unsere Vermieter hatte das Haus ein Jahr lang für uns freibehalten, und wir lieben es, hier zu wohnen», berichtet Irene. Daher nahmen sie die langen Arbeitswege zur Schule im Bündnerland und ins Kinderheim auf sich. Er hatte unregelmässige Arbeitszeiten, musste auch nachts oder über Feiertage im Heim bleiben. So entschloss sich die Familie, ihn zu besuchen und mit den betreuten Kindern, die nicht nach Hause konnten, diese Wochenenden oder auch Ferien zu gestalteten. Powerfrau Irene liebte diese Einsätze. Sie war als junge Frau sportlich sehr aktiv, als Jungscharleiterin und Lagerköchin tätig gewesen. Sie rockte alles.

Zu viel des Guten

Ihr Verhältnis zu Gott war damals zwiespältig. Sie besuchte eine Freikirche, nahm ihren Schöpfer jedoch als Kontrolleur wahr: «Entweder, ich gehorche Gott und kann nicht mehr machen, was ich will, oder ich lebe nach meinen Vorstellungen und lande am Ende in der Hölle…» Diese Angst begleitete sie jahrelang, sie sprach mit niemandem darüber. Nach einer Fehlgeburt mit Gebärmutterentzündung und entsprechender hormoneller Veränderung wurde ihr gesagt, sie könne vielleicht nicht mehr schwanger werden. Das wäre schlimm gewesen für das Paar. Doch sie bekamen innerhalb von vier Jahren drei weitere Töchter. Damit war Irene rund um die Uhr mit vier Kleinkindern beschäftigt, drei davon trugen Windeln.

Nach dem Ende von Thomas' Ausbildung wollte sich die Familie erholen. Doch nun zeigten sich bei Irene Symptome einer Überfunktion der Schilddrüse. Sie war immer angetrieben, konnte kaum mehr schlafen, hatte Konzentrationsstörungen – psychisch ging es ihr immer schlechter. 2011 verbrachte sie vier Wochen im Hotel der Ländli-Diakonissen am Ägerisee, um sich zu erholen. Hier schrie sie zu Gott um Hilfe und wurde durch Bibelverse aus dem Jesaja-Buch sehr ermutigt: «Ich vergesse dich niemals – unauslöschlich habe ich dich in meine Hand geschrieben. Alle werden erkennen: Ich bin dein starker Gott.» An dieser Zusage hielt sie nun fest.

Thomas behielt immer das Vertrauen, dass Gott durchträgt. «Er übernahm ganz viel zuhause, war wertschätzend und geduldig», hält Irene fest. Auch Familie und Freunde halfen, aber Irene litt sehr darunter, nicht mehr selbst für ihre Kinder sorgen zu können. Sie bot alle Kräfte auf, doch sie schaffte es nicht. Nun wurde ihre Schilddrüse operativ entfernt und sie fiel auf der anderen Seite vom Pferd: Sie war völlig antriebslos, litt unter Ängsten, konnte den Alltag mit den Kindern wieder nicht selbständig bewältigen. «Es zerriss mir das Herz, wenn meine Mädchen weinend im Auto weggebracht wurden», erinnert sich die 47-Jährige.

Durch den Nebel tappen

Ein Klinikaufenthalt wurde nötig, anschliessend eine Reha. Sie hatte Medikamente bekommen, die wenig halfen, ihr jedoch 30 kg zusätzliches Gewicht einbrachten. «Ich fühlte mich wie in einem Nebel, spürte und schmeckte nichts mehr.» Sie empfand es als sozialen Abstieg, dass sie auf so viel Hilfe angewiesen war. In eine psychiatrische Klinik eintreten zu müssen, war für sie der Tiefpunkt: «Es war, als käme ich ins Gefängnis…», erinnert sich Irene. «Wir hätten professionelle Unterstützung im Familienalltag gebraucht, aber das gab es nicht.» Schliesslich trat sie ins Spital für ganzheitliche Medizin (SGM) in Langenthal ein. Hier freundete sie sich mit einer anderen Patientin an, sie tauschten sich aus und beteten füreinander. Sie hörte viel Lobpreismusik und empfand immer wieder inneren Frieden. «Christliche Kliniken müssen den Glauben unbedingt in die Therapie einbeziehen, das ist eine grosse Ressource», stellt sie heute klar.

2012 schlug sie sich durch mit ambulanter Therapie. Thomas arbeitete wieder als Schreiner, um regelmässige Arbeitszeiten und damit mehr Kapazität für seine Mädchen zu haben. Die Finanzen waren knapp, sie mussten ja viele Rechnungen bezahlen. «Aber Gott versorgte uns», hält Irene fest. Sie bekamen immer wieder Geld geschenkt, sogar ein neuer VW-Bus wurde von einem Geschäftsmann bezahlt.

Ich kann so nicht mehr leben

Als die älteste Tochter in die Oberstufe kam, stellten sich bei Irene Ängste, Zwangsstörungen und Panikattacken ein. Sie konnte sich nicht mehr auf ihre Kinder einlassen, lebte in ihrer eigenen Welt, fühlte sich wie in einem Horrorfilm, der nicht endet. «So konnte und wollte ich nicht mehr leben», gesteht sie. «Es zog mich förmlich zum Suizid.» Erneut trat sie in die Klinik SGM ein. Und hier traf sie einen Pfarrer, der von seiner Frau genötigt worden war, sich psychisch abklären zu lassen – sonst würde sie sich scheiden lassen. Er begleitete Irene, betete für sie, mit ihm konnte sie wieder lachen. «Du bist wegen mir hier!», stellte sie klar.

Trotzdem plante sie ihren Tod, erzählte Thomas davon. «Er gab mich frei, sagte, dass ich gehen darf, wenn ich es hier nicht mehr ertrage.» Doch er und viele Freunde beteten für Irene. Und dann hörte sie Gott fragen: «Glaubst du, dass ich es gut mit dir meine?» Irene war schockiert. Doch schliesslich übergab sie ihm ihr Leben, ihre Zukunft, ihren Tod. Sie sprach ihm ihr Vertrauen aus: «Ja, ich glaube, dass du etwas Gutes entstehen lässt aus dieser Geschichte.»

Sie fand eine gläubige Psychiatrie-Spitex-Fachfrau und Trauma- sowie Aromatherapeutin. Mit ihr traf sie sich vier Jahre lang regelmässig, und sie deckten dabei viele Ursachen auf, die hinter allem Empfinden und Verhalten stecken. Immer besser lernte Irene, wie sie reagieren kann, wenn sie getriggert wird. Sie ist Panik, Angst oder Niedergeschlagenheit nicht mehr ausgeliefert, kann angemessen reagieren und hat daher schon vor einiger Zeit ganz langsam, Schritt für Schritt, ihre Medikamente abgesetzt. 2023 beendete sie die psychotherapeutische Begleitung. Ausser dem Ersatzhormon für die Schilddrüse braucht sie auch keine chemische Unterstützung mehr.

Ende des Tunnels erreicht

Seit einem Jahr ist sie wieder in der Lage, ihren Beruf als Pflegefachfrau auszuüben. Sie betreut nun Menschen mit psychischen Herausforderungen in einer Wohngruppe. «Ich verstehe sie sehr gut, kann mich einfühlen und geduldig begleiten», sagt Irene. So ist aus ihrem Leid ein grosser Schatz entstanden, aus dem sie für andere in Not schöpfen kann. Wie Gott sie auch führt: Irene hat das dunkle Tal hinter sich gelassen, ist wieder gesund, stark, froh und zuversichtlich. «Das ist ein riesiges Geschenk! Der Glaube war das Schlimmste und Schönste für mich – als ich Gott noch nicht als liebenden Vater kannte, war es schlimm. Nachdem er mich so liebevoll herausgeholt hat, wunderschön!»

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Datum: 27.09.2025
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Jesus.ch

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