Wer liest denn noch die Bibel?

Die Bibel & ich

Frau liest in einem Buch (Symbolbild)
Es wurde eine Studie zum Bibellesen in Deutschland veröffentlicht. Der Inhalt ist hilfreich. Er zeigt aktuelle Trends und Zahlen, die nicht aus den USA kommen, und er hilft beim persönlichen Umgang mit dem Buch der Bücher.

Alle wissen, dass man als Christ die Bibel liest. Und genauso wissen alle, dass es die wenigsten tatsächlich tun. Doch stimmt dieses Klischee? Stimmt es nicht nur gesellschaftlich, sondern auch für die Menschen, die betonen, dass sie «mit Jesus leben»? In den USA ist die Bibel immer wieder Teil der öffentlichen Debatte. Donald Trumps Foto, auf dem er eine Bibel in die Kamera hält, hat es samt Entstehungsgeschichte in die amerikanische Wikipedia geschafft und prägt die öffentliche Wahrnehmung der Bibel auch noch drei Jahre später. Die jüngsten Kritiken konservativer US-Christen an der biblischen Bergpredigt als «zu links» und «zu liberal» hat man ebenfalls bis Europa wahrgenommen.

Stört dies die persönliche Beschäftigung mit der Bibel? Oder ist es peinlicher geworden, darin zu lesen? Diesen und anderen Fragen gingen der Theologe Prof. Dr. Alexander Deeg und der Religionssoziologe Prof. Dr. Gert Pickel mit ihren Teams nach. Das Ergebnis ist die Studie «Multiple Bibelverwendung in der spätmodernen Gesellschaft – Einstellungen zur Bibel und Gebrauch der Bibel sowie ihrer medialen und kulturellen Derivate», die hier kostenlos heruntergeladen werden kann.

Aktuelle Bibeltrends

Hier geht es nicht darum, die Ergebnisse im Detail aufzuschlüsseln, stattdessen sollen paar Highlights herausgestellt werden:

  • Auch wenn die meisten Bibellesenden am liebsten allein für sich lesen, begegnen die Befragten der Bibel tatsächlich am häufigsten im Gottesdienst. Predigten und Bibellese sind die Felder, in denen sie sich damit auseinandersetzen.
     
  • Die Hälfte der Deutschen (52,8 Prozent) besitzt eine Printausgabe der Bibel, aber nur 1,6 Prozent lesen täglich darin.
     
  • Wie wir der Bibel begegnen, hängt stark von unseren Kindheitserfahrungen ab: Besonders prägend ist das Alter von 4 bis 14 Jahren. Wer hier in Familie, Gemeinde oder Schule positive Erfahrungen mit der Bibel machte, liest später lieber darin.
     
  • Digitale kostenlose Formate der Bibel wie der Bibleserver, die Seite der Deutschen Bibelgesellschaft oder diverse Apps werden von der jüngeren Generation gern eingesetzt, ersetzen die gedruckten Ausgaben aber noch lange nicht – ca. elf Prozent der Bibelleser nutzen sie.
     
  • Auch bei den Befragten, die nicht oft in der Bibel lesen, ist das Interesse an biblischen Themen ungebrochen: 40 Prozent der Menschen ohne Religionszugehörigkeit interessieren sich für diese Inhalte.
     
  • Bei den Bibellesenden kristallisieren sich drei verschiedene Typen heraus: Die kleinste Gruppe (18 Prozent) liest täglich oder wöchentlich darin. Die mittlere Gruppe (26 Prozent) liest mindestens einmal monatlich darin. Die grösste Gruppe (56 Prozent) schlägt die Bibel nur «einige Male im Jahr» auf.

Eigenes Bibellesen

Aussagen wie die obigen lassen sich unterschiedlich zur Kenntnis nehmen: Man kann sie bewerten, verurteilen, als Statistik abheften oder sich fragen: Wie handhabe ich das Bibellesen eigentlich selbst? Manche werden dabei vielleicht feststellen, dass sie genau in ein bestimmtes Raster hineinpassen – ob in das des treuen, regelmässigen Lesers oder in das der Gelegenheitsleserin, die die Bibel meist im Gottesdienst wahrnimmt oder sich in einer Kleingruppe darüber austauscht.

Manchen wird es so gehen wie mir, dass sie in keine Schublade passen: Ich lese überhaupt gern und viel, allerdings nehme ich meine Bibel nicht jeden Tag in die Hand. Einzelne Verse wie in den Losungen nutze ich praktisch nie. Manchmal schlage ich nur kurz etwas nach und manchmal lese ich einen Psalm oder einen anderen Abschnitt als Einstieg in den Tag. Zu anderen Zeiten nehme ich mir ein Buch wie den Hebräerbrief oder Hesekiel, lese sie in kurzer Zeit komplett durch und vertiefe das Ganze anschliessend noch. Als ich vor vielen Jahren realisierte, dass Gott etwas mit mir zu tun haben möchte, nahm ich «sein Buch» zur Hand und las es in 14 Tagen von vorne bis hinten durch. Im Laufe der Jahre habe ich die Bibel bestimmt 15-mal durchgelesen, aber in der letzten Zeit schaue ich darin eher nach einzelnen Themen oder bestimmten Personen.

Wenn ich im Gottesdienst in der Bibel mitlese, dann benutze ich nur noch meine App, zum Arbeiten nehme ich die Computerversion und zum Einfach-nur-Lesen nach wie vor ein gebundenes Buch – momentan ist das die Basis-Bibel. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich mich fast schuldig fühlte, keine so regelmässige und typische «Stille Zeit» wie andere Christen zu halten. Inzwischen stört mich das nicht mehr – und ich habe den Eindruck, Gott stört es auch nicht, denn wenn ich meine Bibel aufschlage, dann liebe ich diese Zeiten mit ihm.

Widersprüchliches Fazit

Mitten in diesem Einordnen in «Wir lesen zu wenig in der Bibel» oder auch «Ich lese mehr als andere in der Bibel» komme ich persönlich zu einem doppelten Fazit, das sich erst einmal widersprüchlich anhört: Bibellesen wird überbewertet und es wird unterbewertet. Vielleicht ist die Erklärung dazu hilfreich für Ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Thema.

  • Bibellesen wird überbewertet. Darf man das als Christ überhaupt denken, geschweige denn sagen? Ich glaube schon. Von den 2'000 Jahren, in denen es Menschen gibt, die sich als Christen bezeichnen, steht eine lesbare und bezahlbare Bibel erst in den letzten 200 Jahren einigen zur Verfügung. Viele Gläubige weltweit hatten oder haben diesen Luxus nicht und kamen gut damit zurecht. Ein Leben mit Gott war trotzdem möglich, weil dies nicht in erster Linie aus Wissen oder einer einzelnen Übung wie dem Bibellesen besteht. Auch heute ist das Denken «Wenn ich morgens nicht meine Bibel gelesen habe, dann geht der Tag schief» eher eine magische Vorstellung als geistliche Reife.
     
  • Bibellesen wird unterbewertet. Daneben stimmt aber auch dieser Aspekt, denn es ist kein «nice to have» für Christen mit zu viel Zeit. Es ist keine Auseinandersetzung mit einem veralteten Buch. Wirklich kennenlernen lässt sich Gott am Besten in der Bibel. Sie enthält alle wichtigen Informationen über ihn und das Leben mit ihm, sie atmet geradezu Gottes Gegenwart. Tatsächlich hinterlässt die Begegnung mit der Bibel kaum einen Menschen unverändert.

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Datum: 18.09.2023
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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