Kontroverse um Küng-Buch

Verantwortlich leben und selbstbestimmt sterben?

In seinem neu erschienenen Buch «Glücklich sterben?» tritt der bekannte Theologe Hans Küng für ein selbstbestimmtes Lebensende ein. Das ist der Weg, den der 86-Jährige nicht nur christlich vertretbar findet, sondern den er selbst gehen möchte. Küng liefert damit – wie schon manches Mal in der Vergangenheit – mit einem brisanten Thema Gesprächsstoff.
Theologe und Buchautor Hans Küng
Buchcover «Glücklich sterben»

Hans Küng ist vor allem als Kritiker der Katholischen Kirche und Mitbegründer der Stiftung Weltethos bekannt. Der streitbare Schweizer Professor, Priester und Autor leidet seit einigen Jahren an Parkinson. In einer Fernsehsendung Ende 2013 nahm er zum ersten Mal für eine breitere Öffentlichkeit Stellung zu der Idee, sein Leben selber zu beenden. Jetzt hat er darüber ein Buch geschrieben.

Ein Bruch mit der Vergangenheit?

«Sie gefährden Ihr ganzes grosses Lebenswerk durch Ihr dezidiertes Eintreten für Selbstverantwortung im Sterben.» So beginnt Hans Küng das Vorwort seines Buchs und unterstreicht damit, dass er sich der Brisanz des Themas durchaus bewusst ist. Doch er wehrt sich gleichzeitig dagegen, in seinem Eintreten für Sterbehilfe seine private Kapitulation vor Krankheit zu sehen, die für viele nichts mit seiner Theologie zu tun hat. «Meine Einstellung zum Sterben kann man letztlich ja nur dann richtig bewerten, wenn man etwas weiss von meinem lebenslangen Bemühen um grundlegende Themen wie die Gottesfrage, das Christsein, ewiges Leben, Kirche, Ökumene, Weltreligionen, Weltethos…» Nach wie vor bekennt er sich zur «Verpflichtung auf eine Kultur der Ehrfurcht vor allem Leben». Gleichzeitig ergänzt er: «Doch gerade weil die menschliche Person unendlich kostbar und unbedingt zu schützen ist, und dies bis an ihr Ende, muss genau überlegt werden, was dies im Zeitalter einer Hochleistungsmedizin bedeutet, die das Sterben weitgehend schmerzlos herbeizuführen, aber auch in vielen Fällen beträchtlich hinauszuzögern vermag.»

Eine persönliche Geschichte

Küng bezog bei Anne Will im Fernsehen zu seinem Vorhaben Stellung – das Interview ist vollständig im Buch enthalten. Er begründete seine Entscheidung, den Todeszeitpunkt selbst festzulegen, auch aufgrund eigener Erfahrungen. «Die 'ars moriendi', die 'Kunst des Sterbens', beschäftigt mich, seit in den 1950er-Jahren mein Bruder Georg monatelang an einem unheilbaren Gehirntumor leiden musste, bis er am Wasser in der Lunge erstickte. Sie drängte sich mir besonders auf, seitdem etwa von 2005 an mein lieber Kollege und Freund Walter Jens, obwohl bestens betreut, in seiner Demenz bis zu seinem Tod 2013 dahindämmerte. Diese Erfahrungen bestärkten mich in der Überzeugung: So will ich nicht sterben!» Gleichzeitig sieht Küng im Blick auf sein eigenes Leben und seine Krankheit: «Ich weiss, dass mein Leben sich vollendet hat, dass ich weiter keine Aufgaben mehr zu erfüllen habe, dass es einfach Zeit ist.»

Glücklich sterben?

«Glücklich sterben heisst für mich nicht Sterben ohne Wehmut und Abschiedsschmerz, wohl aber ein Sterben in völligem Einverständnis, in tiefster Zufriedenheit und in innerem Frieden.» Auf diese Feststellung Küngs wandte Anne Will ein, dass Selbsttötung doch eigentlich eine Absage an das Ja Gottes zum Menschen und das Geschenk des Lebens sei. Küng betonte daraufhin, dass er keinen «eigenmächtigen Selbstmord» plane und schon gar keine Provokation der Kirche, er sehe seine Verantwortung aber nicht nur im Leben, sondern auch für das Sterben. «Und warum soll die in der letzten Phase aufhören, diese Verantwortung?»

Geteilte Reaktionen

Das Thema legt nahe, dass Küng mit seinen Äusserungen keine einheitlichen Reaktionen hervorrufen wird. So ist es auch. Sie reichen von scharfer Verurteilung bis zu grosser persönlicher Hochachtung. Das Medienmagazin Pro berichtet darüber hinaus von einigen behinderten Menschen, die sich durch den Verlauf der öffentlichen Diskussion durchaus unter Druck fühlen, jetzt doch ihre Umwelt zu entlasten (sprich: den Freitod zu wählen). Ausserdem unterstreicht das Magazin, «wie selbstverständlich das Töten als Option angesehen wird, obwohl das auszulöschende Leben nicht konkret Leid erfährt: 90 Prozent der Frauen, deren Kind im Bauch Trisomie 21 hat, brechen die Schwangerschaft ab. Fast jeder zweite Patient (42 Prozent), der an der Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) leidet (die aktuell durch die Kampagne Ice Bucket Challenge weltweit bekannt wurde), denkt laut einer Studie des Ludwig-Maximilians-Universität München an Selbstmord.»

Die Frage der Barmherzigkeit

Eine absolute Ablehnung jeder Selbstbeteiligung am eigenen Tod ist in der Praxis kaum durchzuhalten. Dies beginnt beim erlöschenden Lebenswillen alter oder kranker Menschen und reicht bis zum Verweigern von Nahrung (Sterbefasten). Doch anders als ein geplantes «wenn ich nicht mehr voll funktioniere, dann nehme ich mir das Leben» kamen zahlreiche Christen unvorbereitet in Situationen, wo sie einfach keinen anderen Ausweg mehr sahen als den Tod. Dramatisches Beispiel mag das Ende des Dichters Jochen Klepper sein, der darüber als letzte Sätze in sein Tagebuch schrieb: «Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.» Hier stellt sich – wie in der Diskussion in Küngs Buch – die Frage nach Gottes Barmherzigkeit.

Die Frage der Würde

Für Küng ist ein Ende in Würde wichtig. Womit er aber scheinbar eher einen klaren Verstand und ein Mindestmass an körperlicher Unabhängigkeit meint. Keine Frage: Die Zustände in Alters- und Pflegeheimen sind oft menschenunwürdig. Doch die Würde eines alten bzw. kranken Menschen wird doch von seinen Grenzen nicht aufgehoben – genauso wenig wie die eines hilflosen Babys.

Datum: 08.09.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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