«Was Anker-Bilder erzählen»

Die Leinwand, auf der das Leben malt

Die kräftigen Farben des Hardcovers und das lebendige Bild «Die Konfirmandinnen von Müntschemier» ziehen den Betrachter sofort ins Buch rein. Man ist gespannt, was es alles über den grossartigen Schweizer Maler offenbart.
Die Konfirmandinnen von Müntschemier (Bild: jigidi.com | Albert Anker)
Albert Anker
Ueli Tobler
Ankers Gemälde «Die Andacht des Grossvaters»

Der Pfarrer Ueli Tobler hat viel Theologisches bei Albert Anker entdeckt und dem Betrachter in seinem Buch offengelegt.

Wer sich noch nicht unbändig nach draussen stürzen will und schon genug Serien geguckt und Literatur gelesen hat, der kann hier in ein Universum von alltags-zeichnenden Gemälden eintauchen.

«Was Anker-Bilder erzählen» bringt dem Hinschauer und Leser die grossen Themen Ankers näher: Personen im Alltag, biblische Szenen, Sozialverhalten, Landwirtschaft und vieles mehr. Und sie lösen unverzüglich Assoziationen zum heutigen Leben aus.

Am Todestag Ankers vom 16. Juli 1910 findet die Familie auf dem Nachttisch seine hebräische Bibel, in der er wohl, wie jeden Abend, gelesen hatte. Sie liegt seitdem im Atelier in Ins und ist immer noch beim Buch Hiob, Kapitel 5 aufgeschlagen. Albert Anker war auf seinen Tod vorbereitet: «Mi Habersack isch packt, i warte nume uf ds Kommando», schrieb er in einem Brief.

Alltag in den vier Jahreszeiten auf 112 Seiten

Längst gehören die Gemälde von Albert Anker zum Schweizer Volksgut. Die beschriebenen Bilder sind den vier Jahreszeiten zugeordnet und nehmen den Leser vom Buchanfang weg unvermittelt in den Winter und somit in die Bildbetrachtung rein.

So ist die erste Bilderklärung im Kapitel Winter dem «Die Kinderkrippe 1» aus dem Jahr 1890 mit dem Vers aus Sprüche Kapitel 27, Vers 19 gewidmet: «Wie das Wasser ein Spiegel ist für das Gesicht, so ist das Herz ein Spiegel für den Menschen.»

Dann wird der Leser ins Gemälde eingeführt und verschiedene Personen und andere Details, zum Beispiel der Hauptakt des Essen-Eingebens, werden herangezoomt.

Anker, der malende Theologe

Autor Ueli Tobler erklärt zum geistlichen Aspekt der Bilder: «…Stube oder Landschaft bekommen Weite, Tiefe und Höhe, als sei man mitten drin. Ankers Lebenseinstellung eröffnet eine vierte Dimension – die des Göttlichen, Heiligen. Und gerade dadurch heiligt er den Alltag, den er malt.»

Natürlich ist es ein Theologe, der das hübsch illustrierte und analysierende Buch geschrieben hat und somit dem Glauben einen gewissen Schwerpunkt gibt. Dennoch erstaunt es den Laien, wie viele biblische Bezüge bei Ankers Bildern auftauchen, dem wohl berühmtesten Schweizer Maler. Bei fast allen Bildern steht ein Vers aus den biblischen «Sprüchen» beim Titel. Zudem sind die biblischen Gemälde mit Matthäus-, Deborah- und Hiob-Versen versehen.

Im Bilderbuch lässt Ueli Tobler die Theologie seines Pfarrerkollegen Anker einfliessen: «Ihm war das Christentum wichtig, schaut man sich seine Bilder genau an, zeigt sich, dass er die Bibel sehr gut kannte. Mir ist wichtig, diese Seite aufzuzeigen, da er zeitlebens Theologe geblieben ist.»

Hier und dort, Stadt und Land, heute und morgen

Das illustre Buch zeigt folgende Spannungsfelder und gleichzeitig die Parallelen zum Leben des Autors auf: Verankerung im Schweizer Seeland gepaart mit interessierter Weltoffenheit (jahrelang pendelte Anker zwischen Sommer-Aufenthalt in Ins und Wintern in Paris); dann der interessante Gegensatz Stadt – Land und schlussendlich die Verbindung von Tradition und Moderne, in welcher der Maler lebte und sie treffend darstellte.

Es gab Berührungspunkte mit Pierre Auguste Renoir, und mit dem berühmten Malermeister Van Gogh existiert ein berührender Briefwechsel.

Das Vorwort schrieb Ankers Ururenkel, der die Vergleiche von Pfarrer Tobler hervorhebt und beispielsweise seinen begnadeten Verwandten selber zitiert. Scheinbar hatte er gelegentlich eitle Damen und Auftraggeberinnen gefragt: «Wollen Sie Ihr Bild ähnlich oder hübsch?», um damit zu zeigen, dass nicht alles hübsch ist, nur wegen seiner Prominenz. Das reelle Leben hat auch Falten und Narben.

Dem Volk ins Leben geschaut

Albert Anker war kein «Schön-Maler». Viele Briefe zeigen, dass Anker die Armut und Alltagsprobleme der Menschen seiner Zeit auf- und mitfühlend an ihnen teilnahm. Herzzerreissend sind etwa die Bilder von Kindern am Totenbett. Anker selber wurde von diesem schmerzlichen Schicksal erschüttert.

Das Bilderbuch ist voll mit den mehr oder weniger bekannten Gemälden «Die Andacht des Grossvaters», «Mädchen, die Hühner fütternd» und vielen anderen.

Und auch humorvolle Anekdoten werden preisgegeben. Anker hatte bei «Kinderkrippe» der Diakonisse kurzerhand ihre befleckte Haube ersetzt. Jedoch hatte er nur Papier zur Hand, was nun mit der steifen Richtung nach hinten nur zu gut zu sehen ist.

Zweimal 600 Gemälde und Christus im Bild

Anker, der 1864 in Twann Anna Rüfli aus Lengnau heiratete, zog mit ihr sechs Kinder gross. Er malte rund 600 Werke in Öl, wovon gut 250 Werke Darstellungen von Kindern, allein oder in Gruppen, zeigen. Nach einem Schlaganfall, bei dem seine rechte Hand gelähmt wurde, erschuf er noch 600 leichtere Aquarelle.

Praktischerweise fügte der Autor Ueli Tobler auch 227 Fussnoten an den jeweiligen Seiten an mit Literaturhinweisen und anderen Informationen.

Auch theologische Orientierung gibt er in seinem Werk: «…Christus fügt an: 'Ich bin mit euch im Bild vom Jahr 1871 und ich bin im Bild von 2010 und 2020… und verspreche euch, im Bild zu bleiben, solange bis es keine dunklen Herren und Damen und Mächte mehr gibt'.»

Kommentar

Das bildhübsche Buch ist zeitlos, da es die kleinen Themen des Alltags illustriert, aber auch die grossen Lebensthemen wie Tod und Essen aufgreift. Erstaunlich ist, wie theologisch Albert Anker war. Der wohl bekannteste Schweizer Maler war viel näher an der Bibel, als man das landläufig kennt. Zudem löst Ueli Tobler interessante Gedankenanstösse aus, die inspirieren und schmückt mit seinen Formulierungen das Werk zusätzlich. Ein Buch für Theologen, Kunstkenner und Historiker – und ein Muss für Anker-Liebhaber.

Zum Buch:
Ueli Tobler, «Was Anker-Bilder erzählen», mit zahlreichen Farb-Abbildungen für Fr.49.-

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Datum: 04.03.2021
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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