Theologische Ausbildung

Die Pfarrperson von morgen ist Trainerin und Teamplayer

Barbara Schlunegger und David Burkhard im Gespräch
Kirchen haben einen hohen Bedarf an gut ausgebildeten Leitungspersönlichkeiten. Doch die Bedürfnisse haben sich verändert. Wie sich das in der Ausbildung niederschlagen muss, erklären David Burkhard und Barbara Schlunegger im SEA Fokus.

Barbara Schlunegger ist Projektverantwortliche Nachwuchsförderung Theologie der reformierten Landeskirchen der Deutschschweiz. Sie hat an der Universität Bern den Bachelor in reformierter Theologie erlangt und danach zwei Jahre als Ausgleich im Weinbau gearbeitet.

David Burkhard ist im Leitungsteam von ISTL Schweiz und Deutschland und Studienleiter am Standort Thun. Er hat den Bachelor in Pastoral & Leadership bei
ISTL absolviert und mehrere Jahre als Jugendpastor gearbeitet. Burkhard ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Sie beschäftigen sich mit der Ausbildung von Menschen, welche die Kirche in Zukunft prägen werden. Welche Vorstellung haben Sie von dieser Kirche?
Barbara Schlunegger (BS): Es ist eine agile Kirche, weniger institutionalisiert als heute. Die Generation Z ist überhaupt nicht institutionsgläubig. Es muss der Kirche gelingen, für das Leben der jungen Leute relevant zu sein, das heisst, dort präsent zu sein, wo sie sich aufhalten. Sie wird weniger zentral in kirchlichen Gebäuden stattfinden als mehr dezentral an neuen kirchlichen Orten.
David Burkhard (DB): Kirche wird auch in Zukunft dort sein, wo Menschen zusammenkommen, deren Zentrum Jesus Christus ist und die dies in Wort und Tat leben. Jesus hat Jüngerschaft als Grundlage für Kirche vorgelebt. Aus Jüngerschaft entsteht Kirche – aber aus Kirche entstehen nicht immer Jünger. Da sehe ich Zukunft für die Kirche als eine Art «Jesus-Bewegung».

Wie sieht die Personalsituation in den Kirchen aktuell aus?
DB: Ein Mangel zeichnet sich insofern ab, dass – so scheint es – weniger Pastoren nachkommen als in den nächsten Jahren wegfallen. Der Beruf ist komplexer geworden, heutigen jungen Menschen ist nicht mehr so klar, was überhaupt ein Pastor ist und ob sie Pastor werden wollen. Sie wollen Verantwortung, aber eher kleinprozentig arbeiten und nebenher noch Zeit für anderes haben.
BS: Bis 2030 werden 40 Prozent der Pfarrpersonen, die im Jahr 2020 im Dienst waren, pensioniert  sein. Viele von dieser Generation hatten Vollzeit-Pfarrämter inne. Junge Menschen möchten Beruf und Privates besser trennen können. Das steht oft im Konflikt mit dem Wunsch der Gemeinde, die den «Pfarrer im Dorf» haben möchte.

Der Pfarr- bzw. Pastorenberuf ist sehr vielschichtig und anspruchsvoll: (Wie) kann jemand in diesem Beruf überhaupt reüssieren?
BS:
Wir raten den Kirchgemeinden, keine eierlegende Wollmilchsau zu suchen. Die gibt es nicht und die wollen wir auch nicht. Es ist unser Ziel für die nächsten rund zehn Jahre, Menschen im Pfarramt schneller dorthin zu bringen, wo sie aufblühen können. Unsere These ist, dass es mehr in Richtung Regional- und Teampfarrämter sowie Spezialisierung geht und die Einzelpfarrämter aussterben.
DB: Essenziell ist die eigene Beziehung zu Gott, von der eine Pastorin, ein Pastor Vision, Kraft und Fokussierung schöpft. Reüssieren kann ein Pastor zudem, wenn er sich als Trainer sieht, der Menschen bevollmächtigt, und wenn er Ja sagt zu Teamarbeit, zu Ergänzung und zu Beziehungen.

Was ist die Motivation der Studierenden bzw. an einem Studium Interessierten?
DB: Bei unseren Studierenden ist diese Frage stark mit dem eigenen Glauben verknüpft. Ihre grösste Motivation ist die eigene, innere Berufung zu einem geistlichen Leitungsdienst in Gemeinde und Mission. Sie wollen bei uns das Rüstzeug holen, um in einen solchen Dienst zu treten.
BS: Bei Personen, die sich für den Quereinstieg interessieren, steht die berufliche Veränderung im Vordergrund. Bei jungen Erwachsenen oder Maturanden, die das Theologiestudium als Erstausbildung absolvieren, ist das Ziel oft noch weniger klar. Die einen interessieren sich für die Theologie als ein akademisches Fach, das verschiedene Disziplinen wie Psychologie, Geschichte oder Philosophie vereint. Die anderen haben Freude daran, in ihrem Glauben tiefer zu graben und sich kognitiv stärker damit auseinanderzusetzen.

Wie gelingt es in einer Zeit, in der immer weniger Menschen einen Bezug zur Kirche haben, Begeisterung für einen kirchlichen Beruf zu wecken?
BS:
Für 16- bis 22-Jährige, also nach der Konfirmation, bieten wir das «Kreuz und quer» an: In Gruppen reisen sie durch die Deutschschweiz und besuchen Posten zu verschiedenen theologischen und kirchlichen Themen, die anschliessend an einem gemeinsamen Abend ausgewertet werden. Zudem veranstalten wir Workshops mit Persönlichkeiten aus Kirche, Gesellschaft, Politik und besuchen Mittelschulen. Es geht heute nur noch über Multiplikatoren, direkte Kontakte und Begegnungen.
DB: Junge Menschen brauchen Vorbilder. Deshalb sehe ich eine Chance darin, die Kirche als Ausbildungsstätte und den Pastor als Lehrmeister zu sehen. Standauftritte an Konferenzen, wo junge, gläubige Menschen sich treffen, sind auch hilfreich, beispielsweise am PraiseCamp. Zudem gibt es einen indirekten Rekrutierungsweg über das Gebet, denn Jesus sagt: «Die Ernte ist reif; bittet den Herrn um Erntehelfer.» Gott selbst beruft Menschen.

Inwiefern sehen Sie einen Veränderungsbedarf in der Ausbildung – nicht zuletzt im Blick auf die eingangs skizzierte Kirche der Zukunft?
BS:
Es stehen Ideen im Raum, den Weg ins Quereinsteiger-Studium einfacher zu gestalten, etwa zu hinterfragen, ob zwingend ein Masterabschluss vorausgesetzt werden muss. Wir müssen die Eintrittsschwelle senken, ohne unseren Qualitätsanspruch aufzugeben. Es gibt zudem eine Arbeitsgruppe, die am Modell eines berufsbefähigenden Bachelor-Abschlusses tüftelt. Eine andere Möglichkeit wäre, einen weiteren Beruf zwischen Pfarramt und Sozialdiakonie einzuführen. Schliesslich prüfen wir derzeit, ob unser Kompetenzstrukturmodell für die reformierte Pfarrausbildung mit neuen Kompetenzen angereichert werden muss. Ich denke zum Beispiel an Fähigkeiten in den Bereichen Digitalisierung oder Change Management.
DB: Wir sind grundsätzlich gut auf dem Weg. Verschiedene Umfragen haben Kompetenzen aufgezeigt, die künftige Pastoren brauchen. Diese sind primär nicht theologisch, sondern beispielsweise Projekt- und Konfliktmanagement, Leitung und Teamarbeit. Dies versuchen wir in unseren Ausbildungsgängen abzubilden. Dieser Fokus bedeutet auf der anderen Seite, dass wir im theologischen Bereich im Vergleich zur universitären Ausbildung weniger abdecken können.

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Datum: 28.09.2023
Autor: Daniela Baumann
Quelle: SEA Fokus

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