Übervorsicht oder Rücksicht?

Wil SG: Wirbel um Weihnachtslieder-Verbot

Die Leitung des Mattschulhauses in Wil SG hat für ihre Adventsfeier drei Weihnachtslieder gestrichen und damit schweizweit einigen Wirbel ausgelöst. Worum geht es?
Beleuchtetes Notenblatt

«Go Tell It on the Mountains», «Fröhliche Weihnacht überall» und «S grööschte Gschänk» dürfen «aus Rücksicht gegenüber anderen Kulturen und Religionen» am Mattschulhaus dieses Jahr nicht gesungen werden, weil sie die Geburt Jesu thematisieren. Dies, obwohl sie im offiziellen Mittelstufensingbuch des Kantons St. Gallen stehen.

«Rassismus»?

Was zuerst nur eine kleine Meldung war, hat in den Schweizer Medien letzte Woche eine rege Diskussion ausgelöst. «Weihnachtslieder nur ohne Jesus» textete etwa Radio Züri und «Primarschule verbannt Lieder von Adventsfeier» hiess es in der NZZ. Sogar «Schweiz aktuell» berichtete am 26. November über den Entscheid von Wil, gefolgt von einer lebhaften (und lesenswerten) Kommentar-Diskussion auf ihrer Webseite. «20 Minuten» schloss die Kommentarfunktion, weil es zu viele Beiträge hagelte. Die meisten zeigten Unverständnis bis Wut über den Entscheid, «Rassismus und Diskriminierung am Schweizervolk» waren noch milde Ausdrücke, mit denen Menschen ihrem Zorn Luft machten. Auf einer Umfrage der Webseite hallowil.ch fanden es von fast 500 Personen nur vier Prozent richtig, dass die Lieder gekippt wurden.

Auch die Politik wurde aktiv: Auf kantonaler Ebene gingen zwei Vorstösse ein, auf kommunaler einer. So forderten die drei SVP-Kantonsräte Ursula Egli (Wil), Markus Wüst (Oberriet) und Sandro Wasserfallen (Rorschacherberg) zusammen mit 39 Mitunterzeichnenden die Regierung auf, das Volksschulgesetz mit einer Bestimmung zu ergänzen, welche Schulträger bestärkt, Weihnachtsfeiern als wichtiges, christlich-kulturelles Erbe zu pflegen. 

Entschuldigung der Schulleitung

So viel Wirbel hatte die Schulleitung wohl nicht erwartet. Schulratspräsidentin Jutta Röösli bedauert es laut BLICK, dass dies eine derart grosse Betroffenheit ausgelöst habe. «Aufgrund von verschiedenen Reklamationen in den vergangenen Jahren wurde im konkreten Fall über die Ausgestaltung der Weihnachtsfeier beziehungsweise über ein ausgewogenes Liederprogramm intern eine Diskussion geführt», schreibt sie in einer Mitteilung.

Bei der Auswahl der Lieder sei man sorgfältig vorgegangen. «Einige Lieder wurden gestrichen, andere wie zum Beispiel 'Stille Nacht' werden an der diesjährigen Feier gesungen.» Die Schulverwaltung stelle sich nun die Frage, ob dieses Vorgehen zu übervorsichtig war. Röösli entschuldigt sich in einem Interview mit hallowil.ch dafür, wenn sich jemand dadurch vor den Kopf gestossen fühle: «Vielleicht waren wir übervorsichtig, diese Frage müssen wir uns gefallen lassen.» Das Thema werde an der nächsten Konferenz der Wiler Schulleitungen besprochen. Klar sei aber: «Die christliche Kultur ist auch an Wiler Schulen Leitkultur.»

Kein Problem für Muslime allgemein

Der Grund für das Liederverbot ist offenbar, dass ein Vater vor zwei Jahren während des Weihnachtskonzerts einer Klasse aufgestanden sei und lautstark reklamiert habe. «Er habe sich über die Liedauswahl beschwert, wo sich im Raum doch mehr Muslime als Christen befunden hätten. Auch im vergangenen Jahr habe ein Vater reklamiert, der allerdings nicht muslimischen Glaubens gewesen sei», berichtet der Tagesanzeiger. Ein neuer Schulleiter habe sich mit der Liederauswahl offenbar «nicht noch einmal aufs Glatteis begeben wollen», wird spekuliert.

Das Problematische an der Entscheidung scheint zu sein, dass hier auf Kritik-Einzelfälle reagiert wird, während Islamverbände und auch Angehörige der naheliegenden Moschee «kein Problem mit christlichen Weihnachtsliedern» haben. Der BLICK zitiert Farhad Afshar, Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz: Der Entscheid der Schulleitung «zeuge von Unkenntnis über den Islam. In der islamischen Welt würden die Muslime vielfach mit den Christen feiern und auch ihre Geschäfte weihnachtlich schmücken.» Und weiter: «Aus unserer Sicht ist es sehr bedauerlich, wenn in einem christlichen Land keine christlichen Lieder mehr gesungen werden», so Afshar. 

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Datum: 03.12.2019
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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