Was ist dran am Jesus Glow?
Zunächst einmal ist es völlig normal, für den eigenen Glauben zu werben und zu zeigen, dass er positive Auswirkungen auf das eigene Leben hat und auch andere bereichern kann. Die Bibel nennt das «Mission». Jesus selbst machte den Menschen seiner Zeit immer wieder Angebote wie: «Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!» (Matthäus, Kapitel 11, Vers 28) Und er unterstrich: Auch wenn Nachfolge und Glaube etwas kosten, lohnen sie sich. Nie hätte er eingeladen: «Kommt her zu mir alle, denen es gut geht, ich werde euch Mühsal bringen.» Warum auch? Das Schöne am Glauben darzustellen hat also nicht nur Geschichte, es erscheint zutiefst legitim.
Inzwischen verbreitet sich allerdings ein Trend über soziale Plattformen wie Instagram und vor allem TikTok: Junge Frauen, die als sogenannte Christfluencerinnen aktiv sind, zeigen mit Vorher-Nachher-Fotos, wie sie durch ihren Glauben an Jesus, das Lesen der Bibel und ein gottgefälliges Leben aufgeblüht sind. Nicht nur innerlich, sondern eben von aussen sichtbar, und sie stellen sich glücklich lächelnd und viel schöner als vorher dar. «Na und?», könnte man meinen. «Die Hauptsache ist doch, dass junge Menschen einen Weg zu Jesus finden.» Und niemand, der als Christ unterwegs ist, wird sie von Glauben, Bibellese oder einem christlichen Lebensstil abhalten wollen. Doch neben diesen durchaus vorhandenen positiven Aspekten gibt es auch negative – und die überwiegen deutlich. Das ist wie bei Schneewittchens Apfel: Im Endeffekt zählt es nicht, dass er auch eine Hälfte hat, die nicht vergiftet ist.
Das Gift der Selbstoptimierung
In erster Linie richten sich Christfluencerinnen mit ihren «Jesus Glow»-Posts an Teens und Jugendliche, die gerade dabei sind, sich selbst und ihren Platz im Leben zu finden. Das Angebot von Christen «Gott liebt dich, wie du bist!» ist ein wirklich positives Signal. Wenn man ihnen dagegen suggeriert, dass «echter» Glaube viel mehr bringen würde als innere Heilung, sondern sie darüber hinaus auch körperlich attraktiver machen würde, bewegt man sich auf demselben Niveau wie die Anbieter von Pillen zur Gewichtsabnahme, die verkünden, dass man in zwei Wochen 20 Kilogramm dauerhaft abnehmen kann. Solche «Heilsversprechen» sind schlicht unseriös. Mehr noch: Glaube wird dadurch auf ein Mittel zur körperlichen Selbstoptimierung reduziert. Und der Gedanke «Wer richtig glaubt, wird richtig schön» vermittelt ein mehr als fragwürdiges Ideal. Welche Teenagerin hört beim nächsten Blick in den Spiegel nicht im Hinterkopf: «Wenn ich nicht schöner geworden bin, habe ich wohl nicht richtig geglaubt.»
Toxische Positivität
Jesus ähnlicher werden ist ein starker Wunsch gläubiger Menschen. Die Darstellung des Glaubens als Jesus Glow bringt allerdings nicht nur Leistungsdruck hinein, sondern auch das, was in der Psychologie als toxische Positivität bezeichnet wird. In einem instagramfähigen Glaubensleben ist eben kein Raum für Leid und Herausforderungen, für Zweifel und Klage. Da geht es darum, Gott zu loben, ihm zu danken, glücklich voranzugehen und ihm Ehre zu bringen. Nichts daran ist verkehrt! Aber es ist eben nur ein Teil des Glaubens. Und der Ansatz, durch eine positive Grundhaltung im Glauben das eigene Mindset neu zu programmieren und Ängste für immer zu überwinden, ist ein Irrweg, den die Bibel so nicht unterstützt. Wo nur positive Gefühle und Entwicklungen erlaubt sind (bzw. als geistlich gelten), wird echte Weiterentwicklung nicht gefördert, sondern unterdrückt.
Der Psychologe Dirk Weller kommt beim Betrachten dieser toxischen Positivität (allgemein, nicht in Bezug auf christliche Schlagseiten) zu dem Schluss: «Durch eine krampfhaft positive Haltung werden Herausforderungen mit watteweichen Floskeln überdeckt. Anstatt nach Lösungen zu suchen und um Unterstützung zu bitten, gibt man den Anschein, als wäre alles in Ordnung. Wütender Antrieb, inneres Wachstum oder echte Veränderung können so nur schwer entstehen.»
Es bleiben Fragen…
Es ist sicher zu kurz gegriffen, Christfluencerinnen, die den Jesus Glow propagieren, alles an den Kopf zu werfen, was man als progressiver Christ den Konservativen schon immer sagen wollte. Es ist aber auch zu kurz gegriffen, wenn man den Trend als kurzlebiges Netz-Phänomen abtut und nur auf die scheinbar positiven Aspekte schaut. Die Vertreter und hauptsächlich Vertreterinnen dieses Trends haben nicht nur eine strahlende, sondern auch eine starke Schattenseite, die man nicht übersehen sollte.
Zum Thema:
Christen in den Sozialen Medien: Livenet-Talk: Christfluencer und Sinnfluencer
Zweiter Talk mit Kira Geiss: Social Media: hinter der Fassade einer Influencerin
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Datum: 22.09.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet