Christo auf den Spuren Christi?
Wer den Iseo-See in Norditalien, westlich des Gardasees, besucht, kann jetzt übers Wasser laufen. Im Iseosee liegen mehrere Inseln, darunter Monte Isola, die grösste Insel in einem europäischen Binnengewässer. Diese Insel hat der US-Künstler Christo mit seinen auf dem Wasser schwimmenden Brücken mit der Stadt Sulzano auf dem Festland und der kleinen Insel San Paolo verbunden. So entstand ein etwa 3 km langer Spazierweg «auf dem Wasser».
Was Christus ohne weitere Installation schaffte, bringt Christo allerdings nicht so einfach hin. Er brauchte 220'000 (immerhin recycelbare!) Polyäthylen-Würfel, bespannt mit leuchtendem Orange – 100'000 Quadratmeter Stoff aus Deutschland. Das erste grosse Kunstwerk des US-Künstlers seit 2005 kostete satte zehn Millionen Euro. Prompt geisselten Kritiker diese Summe in Blogbeiträgen – so viel Geld könne für soziale Zwecke viel besser eingesetzt werden.
Christo zu seinem Kunstwerk: «Das ist ein sehr physisches Projekt. Das ist keine Malerei, keine Skulptur, man muss dahin gehen, das heisst: laufen. Das ist physisch, nicht virtuell.» Er sei an «den echten Dingen» interessiert – Dinge, die er fühle und die ihm Freude machten. «Die Stege sollten nicht auf Fotos angeschaut werden, sondern man muss über sie laufen», meint Christo denn auch.
Freiheit und Vergänglichkeit
Für den Künstler bedeutet es Freiheit, ein solches Werk zu erstellen und zu begehen. Freiheit bedeute natürlich auch, dass man für diese Kunst kein Eintrittsgeld verlange. «Jeder kann kommen, wann er will. Das Kunstwerk gehört niemandem, das kann niemand erwerben, sondern es muss frei von jeder Belastung sein», sagt Fotograf Wolfgang Volz, der Christo seit 40 Jahren begleitet, über die Floating Piers.
Aber auch Vergänglichkeit sei Teil des Konzeptes, sagt Christo: «Das Wichtige an diesem Projekt ist der zeitliche Charakter, diese nomadische Qualität.» Das sei vor allem durch die Nutzung des Wassers gewährleistet. «Denn ich besitze das Werk nicht, niemand besitzt es. Es ist wie unser Leben – es geht vorbei, es existiert nur im Hier und Jetzt.»
Für zwei Wochen, vom 18. Juni bis 3. Juli 2016, besteht das Kunstwerk und ist begehbar, bevor es wieder abgebaut und recycelt wird.
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Datum: 20.06.2016
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet