Slums in Zeiten der EU
Slum in der transsilvanischen Stadt Tirgu Mures im EU-Staat Rumänien (alle Fotos: Peter Urfer und Joshi).
Tirgu Mures, eine Stadt mit über 150'000 Einwohnern. Grosse Einkaufszentren, Mobiltelefongeschäfte, eine pulsierende Chemiebranche und sechs Hochschulen. Aber in dieser Stadt stehen auch andere Häuser, erbaut aus Blachen, Erde und Kehricht.
Wenn es regnet, wird es im Quartier wenig gemütlich.
Manche Menschen, die darin leben, haben manchmal tagelang nichts zu essen. Wir sprechen hier aber nicht von einem Drittwelt-Land sondern vom EU-Staat Rumänien. Manche Roma werden wegen ihrer Herkunft ausgeschlossen, ihre Kinder dürfen nicht in die Schule. Ausgestossene in der EU.
Joshi kocht im EU-Slum
Joshi (sprich: Joschi), ein einheimischer Roma, der selbst in diesem Armenquartier lebt, hilft, wo er kann. Zweimal pro Woche kochen er und seine Frau in einer einfachen Suppenküche eine Mahlzeit für 80 bis 90 Kinder. «Es kämen mehr Kinder, aber wir stossen an unsere Grenzen. Deshalb geben wir nur den Ärmsten», erklärt Joshi. In dieser Gegend leben etwa tausend Roma. «Unser Bürgermeister Dorin Florea will unser Quartier weghaben, denn es macht das Stadtbild unschön», bedauert Joshi.
Die EU ist in Rumänien noch nicht angekommen.
«Florea will sie in eine Containersiedlung stecken, hinter einem Fabrikareal, wo man sie nicht sieht», sagt Peter Urfer, ein Schweizer, der seit mehreren Jahren in Rumänien arbeitet und der Joshi zur Seite steht. Joshi ist ein engagierter Christ, am Samstag leitet er eine kleine Jugendgruppe.
Container-Ghetto hinter Fabrik?
Laut Urfer würde das Problem durch eine Containersiedlung verschärft. «Die Menschen leben von der Hand in den Mund. Sie finden Eisen und verkaufen es. Mit dem wenigen Geld, das sie so reinkriegen, können sie sich das Nötigste besorgen.» Andere putzen nachts für eine Billiglohn die Strassen.
Ein Kind erhält eine Mahlzeit.
Eine Containersiedlung würde die Sippen zerreissen und die gegenseitige Hilfe deutlich erschweren. Heute teilen sich zum Beispiel fünf Familien einen Kochherd. Urfer: «Oder sie haben Schweine oder ein Pferd. Wie soll das gehen, wenn sie in einem Container wohnen müssen?» Zudem wäre das ein Ghetto.
Jugendstunde bei Peter Urfer in Gornesti; etwa 15 Kilometer ausserhalb von Tirgu Mures.
In der Schule nicht willkommen
An den Rand gedrängt würden die Roma, weil sie eine dünklere Hautfarbe hätten und vielleicht etwas wilder seien, sagt Joshi. «Aber daraus folgt bald, dass die anderen nichts mit uns zu tun haben wollen. Man will uns nicht als Nachbarn.»
Noch mehr Jugend-Action.
Diese Ausgrenzung geschehe auch in der Schule. Eigentlich hätten schon vor der EU-Zeit alle Kinder in die Schule müssen. Urfer: «Manche können nicht, weil sie nur zerlumpte Kleider und keine Schuhe haben oder weil sie nicht ins Konzept passen.» Freilich geschieht dies nicht allen Romas im Land. Einige von ihnen haben es auch Reichtum und Einfluss gebracht.
Frohe Jugendbande.
Joshi möchte, dass die Roma-Kinder akzeptiert werden und ganz normal die Schule besuchen können. «Wie sollen sie denn sonst eine Zukunft haben?» Manche Eltern würden sie gar nicht in die Schule schicken. Man sortiert zu Hause beispielsweise Abfall schaut darin nach etwas Brauchbarem. Die Kindern seien da die Lehrlinge.
Peter Urfer mit seinen Kids.
Vergleichbares geschehe auch in anderen Städten in Rumänien. Es sieht aus, als gäbe es innerhalb der EU Reservate und systematische Ausgrenzung. Für die betreffenden Menschen ist beispielsweise Transsilvanien tatsächlich ein Ort des Schauderns; ihr «Dracula» sitzt in der Regierung.
Freude in der Kinderstunde.
Weniger idyllisch sieht es im Roma-Quartier von Tirgu Mures aus.
Joshi (hinten) verteilt Lebensmittel aus seiner Suppenküche.
Viele hungrige Mäuler finden den Weg.
Und noch mal: Das ist nicht in einem Drittwelt-Land, sondern in einem Teilgebiet der EU.
Blicke, die vieles sagen.
Zweimal pro Woche kochen Joshi und seine Frau für bis zu 90 Kinder. Mehr liege nicht drin.
Joshis Frau in der Küche
Datum: 29.10.2007
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch