KI trifft Qumran

Daniel-Buch älter datiert – dann wäre Prophezeiung echt

Die Schriftrollen aus dem Toten Meer
Ist das Daniel-Buch doch älter als gedacht? Neue Datierungsmethoden bringen neues Licht in die Debatte um echte Prophetie oder spätere Einfügung. Alexander Schick, Fachmann für alte Bibelschriften-Funde, ordnet ein.

Ein Forscherteam unter der Leitung des Groninger Alttestamentlers und Judaisten Mladen Popovic hat zur Neudatierung antiker Texte eine Kombination aus klassischer Radiokarbonanalyse und einer KI-gestützten Schriftanalyse eingesetzt; letzteres wurde anhand von 24 antiken, zeitlich genau datierten Texten trainiert.

Durch die Kombination dieser Verfahren kamen die Forscher zum Ergebnis, dass ein Daniel-Schriftfragment aus Qumran aus dem Zeitraum zwischen 230 und 160 vor Christus stammt. Das Fragment des Kohelet (Prediger) datierten sie auf das 3. vorchristliche Jahrhundert und damit ebenfalls in unmittelbare Nähe zur mutmasslichen Entstehungszeit der biblischen Schrift.

Bisheriger Mainstream: Prophetie erst hinterher

Das Daniel-Buch sagt in seinem Selbstzeugnis, «dass es im babylonischen Exil verfasst wurde und eine Prophetie zum sogenannten ‘Gräuel der Verwüstung’ enthält», gewährt Alexander Schick, Wissenschaftspublizist und Fachmann für alte Bibel- und Handschriftenfunde, in einem Rundschreiben einen Einblick in das historische Fragment.

«Da jedoch alle modernistischen, also die historisch-kritischen Theologen jegliche Prophetie für unmöglich halten, sprechen sie von einem ‘vaticinium ex eventu’; einer ‘Weissagung vom Ereignis her’. Ein Vergleich mit den Hitler-Tagebüchern drängt sich auf: Diese wurden in der Neuzeit geschrieben, absichtlich altgetrimmt und sind eindeutig eine Fälschung. Ähnlich wird beim Daniel-Buch argumentiert: Es könne frühestens in der Makkabäerzeit entstanden sein.»

Die bisherige Leseart

Diese Ansicht ist sogar «Mainstream» in Wikipedia, wo unter dem Stichwort Daniel zu lesen ist: «Das Buch gibt vor, im 6. Jahrhundert v. Chr. verfasst worden zu sein. Auf Basis eines Vergleichs des Inhalts mit historischen Ereignissen gehen die meisten Exegeten heute davon aus, dass zumindest die hinteren Kapitel ab Kapitel 7 erst während der Konflikte der Makkabäer mit dem Seleukiden Antiochos IV. (167–164 v. Chr.) entstanden sind.» (Stand: 26. Juni 2025)

Wenn die Daniel-Fragmente aus Qumran ins 2. Jahrhundert vor Christus datiert werden und es heisst, sie seien «möglicherweise Zeitgenossen ihrer ursprünglichen Autoren», bedeutet das für die historisch-kritische Forschung laut Alexander Schick: «Das Buch Daniel ist kein prophetisches Buch, sondern eine Fälschung. Die Ereignisse des ‘Gräuels der Verwüstung’ seien die Entweihung des Tempels durch den Seleukidenkönig Antiochos IV., der damals ein Schwein ins Allerheiligste brachte – Entweihung pur! Später habe man diese Katastrophe ‘neu gedeutet’ und ein anonymer Autor habe das Buch Daniel im 2. Jahrhundert vor Christus verfasst, um die Tempelentweihung zu erklären. Genau so funktioniert auch die Argumentation rund um die Hitler-Tagebücher.»

Es muss älter sein

Alexander Schick ist dem Daniel-Buch seit Jahren auf der Spur: «Als ich vor etwa 30 Jahren Professor Frank M. Cross von der Harvard-Universität, Herausgeber der Daniel-Fragmente, gefragt habe, ob es sein könne, dass die ‘junge’ Datierung der Fragmente durch literarkritische Methoden bedingt sei, musste er schmunzeln – und tatsächlich ist es so. Sollten die Daniel-Fragmente älter sein als von Frank M. Cross angenommen hat, würden sie genau das Gegenteil beweisen!»

Die Daniel-Schriftrollen wurden in Qumran gefunden, einer abgelegenen Wüstenregion. Wahrscheinlich kamen sie im 1. Jahrhundert vor Christus in die Bibliothek, vielleicht sogar früher, so Alexander Schick. «Das bedeutet: ‘Daniel’ muss spätestens um 100 vor Christus als heiliges Buch anerkannt gewesen sein, sonst hätten die Qumran-Gemeinschaften es nicht gesammelt. Doch wie lange dauert es, bis ein Text im gesamten antiken Judentum, mit seinen vielen Strömungen, als heiliges Buch akzeptiert wird? 50 Jahre sind dafür viel zu kurz.»

Im babylonischen Exil verfasst

«Die alten Daniel-Fragmente aus Qumran sprechen dafür, dass das Buch Daniel schon deutlich früher verfasst worden sein muss. Der Streit darüber ist jedoch alt: Gibt es keine echte Prophetie – also eine von Gott gegebene Vorhersage künftiger Ereignisse –, dann kann Daniel nur in der hellenistischen Zeit (der Makkabäerzeit) geschrieben worden sein», erklärt Alexander Schick. «Genau in jener Zeit, als das Tempelweihfest eingeführt wurde, weil die Makkabäer die Seleukiden aus Jerusalem vertrieben und den Tempel wieder Jahwe weihten; der Ursprung des Chanukka-Festes.»

Wenn wir jedoch an echte Prophetie glauben, also daran, dass Gott seinen Propheten zukünftige Ereignisse offenbart, die erst Jahrhunderte später eintreten, ist die Selbstaussage des Buches Daniel völlig plausibel: Es wurde im 6. Jahrhundert vor Christus im babylonischen Exil verfasst.

Ähnlich wie im Markus-Evangelium

Eine ähnliche Frage der späten Datierung nach historisch-kritischer Sicht begegnet einem beim Markus-Evangelium, erläutert Alexander Schick. «Viele Einführungen ins Neue Testament datieren Markus auf etwa 70 nach Christus oder später. Kein moderner Theologe geht von einer Entstehung vor 70 nach Christus aus. Warum? Weil Markus Kapitel 13 die Zerstörung des Jerusalemer Tempels vorhersagt. Die Zerstörung des Tempels erfolgte jedoch erst 70 nach Christus; aus Sicht der liberalen Theologie kann Jesus diese Prophezeiung nicht um 30 nach Christus ausgesprochen haben, sondern sie wurde erst nachträglich als ‘vaticinium ex eventu’ in den Mund Jesu gelegt.»

Theologen, die an das Wunder der Prophetie glauben, sind deshalb bereit, Markus viel früher zu datieren und selbstverständlich auch das Buch Daniel, erklärt Alexander Schick. «Die neue Datierung der Daniel-Fragmente wird hoffentlich Fragen an der gängigen, späten Datierung aufwerfen.» Qumran sei eine Gemeinschaft gewesen, die Bibeltexte abschrieb – aber keine verfasste, die später in den biblischen Kanon aufgenommen wurden.

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Datum: 30.06.2025
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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