Wie echt sind Nahtod-Erlebnisse?

Nahtod
Peter Fenwick

Menschen, die klinisch tot waren, berichten häufig von so genannten Nahtod-Erfahrungen. Sie schweben durch Tunnel, sehen ein helles Licht oder verlassen den eigenen Körper: Forscher wollen jetzt klären, ob es sich bei diesen Erlebnissen nur um Halluzinationen handelt, oder ob sich wirklich die Seele aus dem toten Körper entfernt und diesen sowie seine Umgebung beobachtet hat.

Nach der Wiederbelebungen im Verlauf von schwierigen Operationen berichten Patienten regelmässig von Nahtod-Erfahrungen. Häufig beschreiben sie, wie sie durch einen Tunnel schwebten und das Licht am Ende des Tunnels sahen. Andere berichten im Detail, was sich im Verlauf der Operation ereignet hat, zum Beispiel wie die Ärzte Wiederbelebungsmassnahmen durchführten. Der Spiegel berichtet von einem Patienten, der in dieser Nahtodphase sogar sah, wie ihm eine Krankenschwester sein künstliches Gebiss aus dem Mund nahm, um einen Luftschlauch einzuführen

Weshalb hatten nur 18 Prozent Nahtod-Erfahrungen?

Ein niederländisches Team um den Kardiologen Pim van Lommel berichtete kürzlich im renommierten britischen Medizin-Fachblatt „The Lancet“ über den Versuch, dem Phänomen der Nahtod-Erfahrungen auf die Spur zu kommen. Die Forscher hatten 344 Patienten, die einen Herzstillstand erlitten hatten, kurz nach der Wiederbelebung nach ihren Erfahrungen befragt. 18 Prozent erzählten von Tunneln, Lichtern oder vom Verlassen des eigenen Körpers.

Die Forscher schlossen daraus, dass physiologische Ursachen, wie von den meisten Gehirnwissenschaftlern angenommen, wohl als Grund für Nahtod-Erlebnisse ausscheiden, weil sie sonst bei mehr als 18 Prozent der Patienten hätten auftreten müssen. Skeptiker wenden ein, dass die angeblichen Nahtod-Erfahrungen aus Erinnerungen und akustischen Eindrücken kurz vor dem klinischen Tod zusammengesetzt sein könnten. Die 82 Prozent der Patienten, die keine Erinnerungen an die Zeit während des klinischen Tods hatten, könnten ihre Erlebnisse ja auch vergessen haben.

Psychiater will untrüglichern Test durchführen

Peter Fenwick vom Institute of Psychiatry in London will die Zweifel nun ausräumen. Er nimmt sich der ausserkörperlichen Erfahrung an, weil sie sich von allen Nahtod-Erfahrungen am einfachsten überprüfen lasse. Zusammen mit seinen Kollegen will er in 25 britischen Krankenhäusern Röhren neben Krankenbetten aufstellen. Auf der Oberseite werden Zahlen in verschiedenen Kombinationen angebracht.

„Die Bilder werden nur von der Zimmerdecke aus zu sehen sein“, erklärte Fenwick dazu gegenüber Spiegel Online. Pro Patient seien eine oder zwei unterschiedliche Ziffern-Varianten geplant. Sollten die Wiederbelebten die Zahlen korrekt wiedergeben können, wäre das laut Fenwick der Beweis für die Echtheit der Out-of-Body-Experiences. „Wir benötigen 100 Berichte von Menschen mit ausserkörperlichen Erfahrungen“, sagt Fenwick. „Das wird voraussichtlich etwa ein Jahr dauern.“ Die Krankenhäuser hätten dem Forscherteam bereits die notwendige Erlaubnis erteilt.

Fenwick glaubt jedenfalls nicht daran, dass es sich bei echten Nahtod-Erfahrungen um einen Rechenfehler des Gehirns handelt. „Wenn das Herz aufhört zu schlagen, herrscht nach elf Sekunden elektrische Stille im Gehirn. Vom neurologischen Standpunkt aus dürfte dann nichts mehr passieren.“

Forscher erwartet eine Sensation

„Wer seinen Körper nicht wirklich verlässt“, argumentiert der Forscher, „kann unmöglich Zahlen auf Röhren ablesen, die nur von der Zimmerdecke aus zu sehen sind. Das Verfahren biete einen entscheidenden wissenschaftlichen Vorteil: „Wir sind nicht darauf angewiesen, den Patienten glauben zu müssen.“ Sollten die Teilnehmer nach der Wiederbelebung die Zahlen tatsächlich korrekt aufzählen, wäre das laut Fenwick „eine Sensation“.

Ein Bewusstsein, das unabhängig vom Gehirn existiert? Was die Mehrheit der Neurologen für schlichten Unfug hält, ist für Nahtod-Forscher Pim van Lommel eine reale Möglichkeit: „Man kann das mit einer Fernsehsendung vergleichen“, sagt der Kardiologe. „Wenn man den Fernseher aufschraubt, wird man keine Sendung finden. Das Gerät ist nur der Empfänger. Aber auch wenn man ihn ausschaltet, existiert immer noch eine Sendung.“

Autor: Fritz Imhof/Markus Becker
Quelle: Livenet/Der Spiegel

Datum: 01.11.2003

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