Japans Bevölkerung schrumpft rapide

Doch die Gemeinden sollen wachsen

Zurzeit sind 30 Prozent der Japanerinnen und Japaner über 65 Jahre alt.
«Auch wenn wir den Bevölkerungsschwund nicht stoppen können, wir tragen dazu bei, dass der Anteil Japaner im Himmel zunimmt», sagen OMF-Missionsleiter Markus Dubach und der OMF-Verantwortliche für Mobilisation, Samuel Figilister.

Markus Dubach, wie sieht die Lage bezüglich des Bevölkerungsschwunds in Japan aus?
Markus Dubach (MD): Die Zahl der japanischen Staatsbürger nahm im Jahr 2024 um 900’000 Personen ab, während die Zahl der Ausländer in Japan um 250'000 zunahm. Die Hauptursachen für diesen Rückgang sind eine der weltweit niedrigsten Geburtenraten von 1,2 Kinder pro Frau. 2024 wurden 730'000 Geburten auf 123 Millionen Einwohner gezählt. Zudem verfolgte Japan lange eine sehr restriktive Einwanderungspolitik. Erst seit kurzem werden gezielt ausländische Arbeitskräfte angeworben. 

Ein weiterer Faktor ist die hohe Lebenserwartung von durchschnittlich knapp 85 Jahren. Zurzeit sind 30 Prozent der Japanerinnen und Japaner über 65 Jahre alt, Tendenz zunehmend. Das stellt die japanische Gesellschaft vor riesige Herausforderungen – bezüglich Rentenleistungen, Altenpflege und Arbeitskräftemangel. Die japanische Regierung unternimmt diverse Anstrengungen, um den Bevölkerungsschwund und die Überalterung abzubremsen. So gibt es Initiativen, welche die Eltern in der Kindererziehung unterstützen, grosszügige Zulagen für Geburten, unterstützende Massnahmen in der Tagesbetreuung von Kindern und geplante Erleichterungen von Teilzeitarbeit für Frauen.

Samuel Figilister, welche Rolle spielen Einsamkeit und soziale Isolation in der alternden japanischen Gesellschaft?
Samuel Figilister (SF):
Einsamkeit und soziale Isolation spielen eine zentrale und wachsende Rolle in der alternden japanischen Gesellschaft. Mehrere Faktoren verstärken dieses Problem:

  • Prognosen zufolge werden bis 2050 etwa 20 Prozent der Senioren allein leben.
  • Wenig enge soziale Kontakte: Laut Regierungsumfragen haben rund 30 Prozent der japanischen Senioren keine engen Freunde ausserhalb der Familie. Erschwerend kommt hinzu, dass viele junge Familien nicht mehr in dem Ort wohnen, wo sie aufgewachsen sind, wo ihre Eltern oder Grosseltern sind.
  • Einsamkeit und Isolation führen laut Studien zu sinkendem Selbstwertgefühl, einer Verschlechterung der Gesundheit und einer höheren Belastung des Gesundheitssystems.
  • Wohnen in der eigenen Wohnung: Viele ältere Leute ziehen es vor, möglichst lange in ihrer eigenen Wohnung zu wohnen. Doch altersbedingte Einschränkungen führen zu Einsamkeit und Sprachunfähigkeit. Rüstige Pensionäre sind oft in Nachbarschaftsvereinigungen aktiv. Sie kümmern sich um die Ordnung auf den Strassen, engagieren sich für die Allgemeinheit und treffen sich im Park.
  • Isolierte Alters- und Pflegeheime: Altersheime werden oft mitten im (gefühlten) Nichts gebaut sind. Die Bewohner dieser Heime sind zwar nicht alleine, aber oft geographisch isoliert, von ihrer Familie getrennt und damit aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen.

Die japanische Regierung hat 2021 ein Ministerium für Einsamkeit und Isolation eingerichtet und fördert Initiativen, um der zunehmenden sozialen Isolation, Vereinsamung und den damit verbundenen Problemen wie steigenden Suizidraten entgegenzuwirken.

Inwiefern kann das Christentum eine Antwort auf das Problem der Einsamkeit in Japan bieten? Ist OMF bei diesem Thema involviert?
MD:
Soziale oder geographische Einsamkeit ist ein bekanntes Thema bei OMF. Allerdings kann OMF gerade bei geographischer Einsamkeit nur beschränkt verändernd eingreifen. Es fehlt an Mitarbeitenden und japanischen Christen, die in schrumpfende Städte oder ländliche Gemeinden ziehen, um Salz und Licht in der Gesellschaft zu sein. Aus strategischer, wie auch personeller Perspektive fokussiert sich OMF auf grössere Zentren. Mehrere christliche Organisationen, unter anderem «Far East Broadcast Company» (FEBC) bieten Radio- und Fernsehsendungen an, die bis in die entferntesten Ecken des Landes ausgestrahlt werden. Diese Radiosendungen werden sehr geschätzt. In Hokkaido zum Beispiel hören am Sonntag mehr Menschen die Radiopredigt als Personen einen Gottesdienst besuchen. Nach wie vor gibt es grössere Regionen ausserhalb der Grossstädte, wo nur kleine oder gar keine christliche Gemeinschaft existieren. OMF Japan fördert darum Gemeindegründungen in noch unerreichten oder wenig erreichten Gebieten.

Welche Möglichkeiten haben christliche Gemeinden, um ältere Menschen in Japan aktiv zu unterstützen?
SF:
Viele christliche Gemeinden bieten bewusst Angebote an, die ältere Menschen in die Gemeinde einlädt (zum Beispiel für Brettspiele oder Kaffee und Kuchen) oder zusammenbringt (wie Bewegungs- und Aktivierungsturnen oder Grosseltern-Enkelkind-Treffen). Diese Angebote werden geschätzt und sind für viele Leute ihre ersten Berührungspunkte mit dem christlichen Glauben.

Samuel Figilister

Viele christliche Gemeinden wurden vor 30 bis 50 Jahren gegründet. Das heisst, die erste Generation Christen der Gemeinde befindet sich heute im Rentenalter und kennt die Herausforderungen des Älterwerdens aus eigener Erfahrung. Das führt dazu, dass der Altersdurchschnitt in den Gemeinden stark gestiegen ist. Gleichzeitig bleibt bei den Christen das Anliegen, ihre eigene Generation mit dem Evangelium zu erreichen und Gemeinden engagieren sich stark in der Seniorenarbeit. Leider gibt es wenig Wachstum in den Gemeinden, die Anzahl Taufen ist deutlich rückläufig. Das heisst auch, dass das Durchschnittsalter der Pastoren jährlich steigt und in den nächsten Jahren zu vielen Gemeindeschliessungen führen wird.

Wie könnte christlicher Glaube helfen, Sinn- und Lebensperspektiven in der schrumpfenden Gesellschaft zu vermitteln?
MD:
Die Perspektive eines liebenden und allgegenwärtigen Gottes gibt vielen Christen in Japan Halt. In einer hoch automatisierten und mechanisch funktionierenden Gesellschaft ist das Angebot Gottes, mit uns in eine persönliche Beziehung zu treten, ein unübertreffbares Plus. Gerade junge Japaner erleben in der Begegnung mit Jesus Christus eine Wertschätzung. Ihre Würde und Identität wird gestärkt und gefestigt. Regelmässig werden Kirchen auch bezüglich christlicher Hochzeiten oder Beerdigungen kontaktiert. Diese Zeremonien bieten sehr gute Gelegenheiten, auf die himmlische Perspektive des Lebens hinzuweisen.

Markus Durbach

Wie wirkt OMF in Japan?
SF: OMF ist in Japan in verschiedene Projekte in den Regionen Kanto (Tokio und Agglomeration), Tohoku (ländliches Japan nördlich von Kanto) und Hokkaido (nördlichste Insel) involviert. Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Gemeindebau, wenn möglich gemeinsam mit japanischen Partnergemeinden. Verschiedene Initiativen richten sich auf spezifische soziale Milieus aus, um diese Menschen zu erreichen. In den grossstädtischen Agglomerationen werden gerade zweisprachige Gottesdienste (japanisch-englisch) geschätzt. Diese Gemeinden wachsen und multiplizieren sich. Es gibt übergemeindliche Initiativen wie zum Beispiel Arbeit unter Obdachlosen, unter Hobbysportlern, Surfern, und anderen. Zudem betreiben Mitarbeitende von OMF zusammen mit FEBC eine Instagram- und Facebookseite, welche Japanern die frohe Botschaft durch illustrierte Bibelverse oder Reels visuell vermittelt.

Wie können internationale Christen und Gemeinden Japan dabei unterstützen, sich den Herausforderungen des Bevölkerungsschwundes zu stellen?
MD:
Der Wirkungsradius der älteren Christen schränkt sich ein. OMF stärkt einfache Angebote der Nachbarschaftsevangelisation, unterstützt soziales Engagement und ermutigt Gläubige, ihren Nachbarn ganzheitlich zu dienen – zu integraler Jüngerschaft. Sprechen Sie Vietnamesisch? Wo sind vietnamesisch-sprechende Christen, die den 650'000 vietnamesischen Gastarbeitern in Japan das Evangelium bringen? Japan sucht dringend Arbeitskräfte und fördert deshalb erstmals in der Geschichte die Arbeitsmigration. Etwa ein Sechstel der Ausländer sind Vietnamesen (650'000), die in Japan als Gastarbeiter willkommen sind. Mission geht ja nicht nur vom Westen zum Rest, sondern OMF fördert und unterstützt bewusst asiatische Missionsbewegungen. OMF und andere Missionsorganisationen erleben zurzeit weltweit neues Interesse unter jugendlichen Christen, sich in Japan langzeitlich zu investieren. Gott hat Japan nicht vergessen und wir sehen Hoffnungszeichen, dass in Japan Erweckung vor der Tür steht. Wer diese miterleben will, soll heute schon die japanische Sprache und Kultur erlernen. Auch wenn wir den Bevölkerungsschwund nicht stoppen können, wir tragen dazu bei, dass der Anteil Japaner im Himmel zunimmt.

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Datum: 15.07.2025
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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