Die Kirche und die Megatrends IV

Der Wertewandel

Der Wertewandel in der Gesellschaft ist eine der grössten Herausforderungen für die Kirche. Er ist eine Folge der bisher aufgezeigten Trends: Der Entflechtung der Systeme, der Vereinzelung und der freien Milieuwahl: Der vereinzelte Mensch, der sein Lebensmilieu selber wählt, lässt sich nicht mehr von einer Institution vorschreiben, nach welchen Werten er zu leben hat.
«Bin ich der Mensch, der ich sein könnte und der ich eigentlich sein will?»

Die Kirche muss deshalb ihre Rolle in der Wertediskussion neu überdenken. Jürg Stolz* schreibt dazu: «Hatte man noch in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts in weiten Teilen der westlichen Gesellschaften Pflicht- und Akzeptanzwerte hoch gehalten, also etwa Disziplin, Gehorsam, Pflichterfüllung, Treue, Selbstbeherrschung, Enthaltsamkeit usw., so wurden diese Werte mehr und mehr … durch Selbstentfaltungswerte ersetzt. Hierzu gehören … einerseits hedonistische Werte wie die Suche nach Genuss, Abenteuer, Spannung, Emotionalität wie auch individualistische Werte wie z.B. Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Toleranz oder Ungebundenheit» (S.45*).

Gewandelte Werte

Die Botschaft von der Begnadigung des Sünders hatte in der Zeit der Pflicht- und Akzeptanzwerte eine dankbare Aufnahme gefunden. Das Gefühl des Nichtgenügens und des Schuldigbleibens war ein fruchtbarer Boden für die Verkündigung der Gnade Gottes. In den 60er Jahren hiess es dann: Der moderne Mensch fragt nicht mehr nach dem gnädigen Gott, sondern nach dem gnädigen Mitmenschen. Heute sucht er sich den Mitmenschen aus, der ihm entspricht.

Permanent unsicher

Was heisst das für die Verkündigung des Evangeliums? Die Fragestellungen haben sich verändert. Der Ruf nach «éducation permanente» schafft eine Atmosphäre des Vorläufigen. Die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung haben zur permanenten Unsicherheit geführt: «Bin ich der Mensch, der ich sein könnte und der ich eigentlich sein will?» Welche Themen der froh machenden Botschaft von der Gnade Gottes sollen im Gottesdienst gepredigt, im persönlichen Zeugnis weitergegeben werden? Die Theologie steht vor einem Berg von Arbeit.

Bleibend gültig

Der Wertewandel in der Gesellschaft zeigt deutlich: Nicht die Kirche setzt die Trends. Sie kann sie auch nicht umkehren. Aber sie hat eine Botschaft auszurichten, die über alle Veränderungen hinaus gültig ist. Sie sei hier mit der letzten Zeile aus J.S. Bachs Weihnachtsoratorium zitiert: «Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht».

* Jörg Stolz, Edmée Ballif: Die Zukunft der Reformierten, TVZ Zürich, 2010,  218 S., Fr. 38.-, ISBN 978-3-290-17556-6

Der grundlegende Text und der Vortrag von Theo Schaad an der Jahreskonferenz 2011 der EMK sind zu finden auf der Homepage der EMK Schweiz.

Zum Thema:
Der Trend zur Verselbständigung
Der Trend zur Vereinzelung
Der Trend zur freien Wahls des Milieus

Datum: 10.07.2012
Autor: Theo Schaad
Quelle: Kirche und Welt

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