Glaubensfreiheit steht über Staatsräson

Zürcher Gedenktafel als Zeichen der Versöhnung mit den Täufern

Noch 1952 weigerte sich die Zürcher Stadtregierung, der einst in der Limmat ertränkten Täufer zu gedenken. Darauf nahm Stadtrat Robert Neukomm Bezug, als er anlässlich des Begegnungstags von Reformierten und Täufern zur Einweihung der Gedenktafel an der Schipfe sprach. Die anwesenden Vertreter von Täuferkirchen aus dem In- und Ausland zeigten sich sehr berührt von der Bitte des Stadtrats um Versöhnung – beinahe 500 Jahre nach der Verfolgung.
Pfr. Ruedi Reich überreicht Thomas Gyger von den Schweizer Mennoniten ein Bild der Gedenktafel.
Die Tafel am Limmatufer.
„Untaten primär aus Gründen der Staatsräson“: Stadtrat Robert Neukomm bittet die Täufer deutsch und englisch um Verzeihung.
Ein Weidling fährt heran …
…und zieht die rote Decke von der Tafel weg.
John Landis, Nachfahre des letzten in Zürich hingerichteten Täufers Hans Landis, würdigt sein Beispiel entschlossenen Glaubens.

Die Steintafel, eingelassen in die Ufermauer an der Schipfe zwischen Hauptbahnhof und Rathausbrücke, hat den Wortlaut: „Hier wurden mitten in der Limmat von einer Fischerplattform aus Felix Manz und fünf weitere Täufer in der Reformationszeit zwischen 1527 und 1532 ertränkt. Als letzter Täufer wurde in Zürich Hans Landis 1614 hingerichtet.“

Livenet dokumentiert die Ansprachen von Stadtrat Robert Neukomm, von Pfr. Ruedi Reich, dem reformierten Kirchenratspräsidenten, und Thomas Gyger, dem Präsidenten der Konferenz der Mennoniten der Schweiz.

Robert Neukomm, Stadtrat von Zürich

Mit der Enthüllung der Gedenktafel für Felix Manz und weitere hier an dieser Stelle in der Limmat ertränkte Täufer wollen wir heute ein Zeichen der Versöhnung setzen. Es ist dem Stadtrat von Zürich (vertreten durch meine Person, notabene bewusst durch ein reformiertes Mitglied des Rates) darum ein aufrichtiges Bedürfnis, an diesem Akt teilzuhaben. Und das Zeichen der Versöhnung zwischen ihm und den Täufern in aller Welt ist dem Stadtrat eigentlich ein doppeltes: Ein grösseres und ein kleineres.

Das grössere Zeichen der Versöhnung bezieht sich auf die Ermordung von Felix Manz und mindestens sechs weiteren Täufern. Aber es bezieht sich auch auf die Verfolgung und Vertreibung unzähliger Täuferinnen und Täufer in Zürich und Umgebung in reformatorischer und nachreformatorischer Zeit.

Dieses Unrecht hat der damalige Rat von Zürich zu verantworten. Er fällte die Todesurteile, er ordnete die Verfolgungen an. Die reformatorische Kirche freilich lieferte ihm die nötigen vordergründigen Argumente dafür. Man braucht allerdings kein spezielles historisches Wissen, sondern nur ein wenig politisches Verständnis, um zu erkennen, dass diese Untaten nicht primär aus religiösen Gründen, sondern aus Gründen der damaligen Staatsräson erfolgten.

Einerseits konnte sich in den Augen des Zürcher Rates das reformierte Zürich angesichts der Bedrohung durch die katholischen Orte eine innere Spaltung der eigenen Bevölkerung nicht leisten, ohne das ganze Reformationswerk – und damit auch die Staatskirche – in Gefahr zu bringen. Anderseits vertraten die Täufer (fast 300 Jahre vor der französischen Revolution!) derart revolutionäre Gedanken bezüglich des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat und der sozialen Frage, dass die damalige feudale und ständische Obrigkeit sie nicht dulden konnte und wollte.

Das kleinere Zeichen der Versöhnung bezieht sich auf die Verweigerung des Stadtrates von Zürich, bereits im Jahr 1952 diese Gedenktafel hier anzubringen. Dieser Entscheid (sieben Jahre nach der bitteren Erfahrung des Holocaust!) ist heute fast nicht nachvollziehbar.

Darum gewähre ich einen kleinen Einblick in die noch geschlossenen Stadtratsarchive jener Zeit: In einem ersten Entscheid vom 25. Juli 1952 bewilligten die sechs anwesenden Stadträte (drei weilten in den Ferien) die Gedenktafel. In einem zweiten Entscheid vom 8. August 1952 hingegen lehnten wiederum sechs anwesende Stadträte (drei andere weilten in den Ferien) die Tafel endgültig ab. Die Diskussionen müssen heftig gewesen sein. Die entscheidende Frage ging offenbar darum, ob Menschen, deren Reden und Tun sich einst gegen den Staat richtete (ob Felix Manz bzw. die Täufer das wirklich taten, war keine Frage) heute eine Gedenktafel bekommen können.

Der heutige Stadtrat von Zürich führte keine Diskusion, ob eine Gedenktafel für Felix Manz und die anderen Täufer angebracht ist oder nicht. Zu sehr und zu schmerzlich erinnert er sich an die Ereignisse insbesondere des 20. Jahrhunderts, in welchem aus Gründen der Staatsräson verbrämt mit religiösen Argumenten in Europa und anderswo Millionen von Menschen zu Tode kamen. Zu nah sind ihm Tschetschenien, Afghanistan, Irak, Palästina, Sudan oder der Balkan, um nur einige Orte zu nennen, wo heute im Namen der Staatsräson und auch der Religion Kriege und tödliche Konflikte geführt und Menschen hingerichtet werden.

Gedenktafeln haben ja nicht nur den Sinn, uns an Ereignisse in der Vergangenheit zu erinnern. Sie haben nicht nur den Sinn, uns zur Versöhnung aufzurufen, wenn sie an begangenes Unrecht erinnern. Sie sollen uns auch den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Im konkreten Fall soll diese Gedenktafel auch daran erinnern, dass Staatsräson und religiöse Konflikte sich nie über die Menschenrechte erheben dürfen.

In diesem Sinne bittet der Stadtrat von Zürich (als indirekter Nachfolger des damaligen Rates von Zürich, aber auch als Nachfolger des Stadtrates von 1952) die Täufer um Verzeihung für das an ihnen begangene Unrecht. Er hofft und setzt sich dafür ein, dass Gleiches oder Ähnliches nie mehr geschehen werde. Er streckt seine Hand aus zur Versöhnung, und er dankt Ihnen, wenn Sie sie ergreifen.


Pfr. Ruedi Reich, Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich

Liebe Schwestern und Brüder

Wir gedenken hier der Brüder in Christus, welche um ihres Glaubens willen in der Reformationszeit auf grausame Weise gefoltert und hingerichtet wurden. Die Zürcher Reformation verstand sich als Wiederentdeckung des befreienden Evangliums von Jesus Christus. Dafür waren auch Glieder der neuentstehenden reformierten Kirche bereit, ihr Leben hinzugeben.

Deshalb schmerzt und beschämt es uns umso mehr, dass die evangelische Kirche zur Verfolgerin wurde. Taufgesinnte Glaubensbrüder wurden im reformatorischen Zürich in Zusammenarbeit von Staat und Kirche verfolgt, gefoltert und grausam hingerichtet.

Wir stehen zu dieser historischen Schuld und bewerten sie aus heutiger Sicht als Verrat am Evangelium. Vor Gott und den Menschen weisen wir auf diese dunkle Seite der Reformation hin und bitten Gott und Euch, liebe Schwestern und Brüder mennonitischen Glaubens, um Vergebung.

Wir sind dankbar für die Gemeinschaft mit Mennoniten, auch am heutigen Tag. Gemeinsam wollen wir uns mitten in einer Welt der Gewalt für Frieden, Versöhnung und Gerechtigkeit einsetzen. Diese unsere Versöhnung untereinander soll uns Kraft geben, miteinander als Ferment der Versöhnung im Auftrag Jesu Christi im Kleinen und im Grossen zu wirken. Dazu erbitten wir von Herzen Gottes Segen.

Thomas Gyger, Präsident der Konferenz der Mennoniten der Schweiz

Sehr geehrter Herr Stadtrat, liebe Mitglieder der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons Zürich, liebe Schwestern und Brüder in Christus

Auch wenn die Verfolgung der Täufer eine tragische Ungerechtigkeit bleibt, so ist uns bewusst, dass es den Behörden des 16. Jahrhunderts in erster Linie darum ging, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Kirche und Staat waren in der damaligen Gesellschaft unter dem Begriff der „Christenheit“ verschmolzen. In diesem Kontext ist es verständlich, dass die Wiedertaufe von Menschen, welche in der Nachfolge Jesu leben wollten, als ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung erlebt wurde.

Mit der Einweihung dieser Gedenktafel an dem Ort, wo Felix Mantz und seine Freunde die Bluttaufe erfahren haben, anerkennen Sie vergangenes Unrecht und das Fehlverhalten Ihrer reformierten Vorfahren im Umgang mit den damaligen Dissidenten. Wir schätzen Ihre Bemühungen, Gerechtigkeit zu schaffen. Ihre Vorfahren fühlten sich gezwungen einzugreifen, um Recht und Ordnung wiederherzustellen – Sie handeln heute freizügig und ohne Zwang.

Im Namen meiner mennonitischen Schwestern und Brüdern unterschiedlicher Herkunft möchte ich mich bei der Regierung der Stadt Zürich sowie der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons Zürich für diese symbolhafte Geste bedanken.

Einige von uns sehen dank dieser Gedenktafel eine Möglichkeit, die Erinnerung wach zu halten, und hoffen auf eine Weiterführung des Dialogs; andere sehen darin ein starkes Zeichen der Begegnung, welche schon morgen der Vergangenheit angehören wird; das Zeichen jedoch wird bleiben, um unsere Versöhnung zu bezeugen.

Zürich hat sich zu einer wohlhabenden und blühenden Stadt entwickelt. Wiedertaufen sollten hier keine Bedrohung der öffentlichen Ordnung mehr darstellen. Aber wie sähe diese Stadt wohl heute aus, ohne die Auswirkungen der Gnade Gottes und dem Einfluss unzähliger im Wort Gottes verwurzelter und von jüdisch-christlichen Werten geprägter Frauen und Männern, die hier gelebt haben?

Früher entzweit, möchten wir heute gemeinsam mit Ihnen, liebe Geschwister der Evangelisch-Reformierten Kirche, in unserer Gesellschaft die Botschaft dessen verkünden, der die Herzen der Menschen berührt und verändert, Jesus Christus, unser Herr!

Berichte vom Begegnungstag:
„Meilenstein auf dem Weg der Versöhnung“: Zürcher Begegnungstag von Reformierten und Täufern

Den Riss heilen: Begegnungstag von Reformierten und Täufern in Zürich

Quelle: Reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, Konferenz der Mennoniten der Schweiz

Bilder: refbild/Gion Pfander

Datum: 01.07.2004

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