Als junger Mensch hat man noch viele Hoffnungen und Illusionen, Träume und Wünsche, und man setzt alles daran, dass sie wahr werden. Man will an das Gute im Menschen glauben und nicht bei jedem gleich voraussetzen, dass er ein Halunke ist. Ich finde es wunderbar, dass man als junger Mensch noch so ist. Wo kämen wir hin, wenn alle desillusioniert wären? Inzwischen habe ich meinen 50. Geburtstag gefeiert, und ich gehöre also keineswegs mehr zu den ganz Jungen. Ich habe in meinem Leben schon einige Erfahrungen gemacht und dabei – ich muss es leider zugeben – manche Illusion verloren. Zu gerne würde ich noch an das Gute im Menschen glauben. Doch es steht ja eigentlich schwarz auf weiss in der Bibel: «Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.» Und daran leide ich immer wieder – besonders, was meine Mitmenschen, meine liebsten Nächsten und Freunde betrifft. Sie halten nicht, was sie versprechen, sie enttäuschen mich, sie halten meinen Illusionen über sie nicht stand. Und ich? Ich bei ihnen wohl auch nicht! Eine Frau schrieb mir kürzlich: 2Das hätte ich von dir nicht gedacht. Ich hatte immer so eine hohe Meinung von dir." Auch sie war enttäuscht – obwohl sie mich aus meiner Sicht völlig falsch verstanden hat. Eigentlich könnte mich das alles müde machen. Auch müde im Glauben. Doch Jesus hat mir ein Vorbild gegeben. Ich bin aufgefordert, zu vergeben und immer wieder neu anzufangen mit diesen meinen Lieben und Freunden und Nachbarn und Arbeitskollegen. Wenn ich das kann, bin ich ein Zeugnis für Jesus, bin ich ein Vorbild und eine Christin, die überzeugt. Ich habe erwähnt, dass ich gerade heute, wo ich diesen Text schreibe, um eine Illusion ärmer geworden bin. Ich bin schwer enttäuscht. Ich fühle mich wie ein Teenager, der lange Jahre etwas geglaubt hat und von einer Stunde auf die andere dieses Glaubens, dieser Illusion beraubt wurde. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich einen bitteren Zug um meinen Mund. Ich bin enttäuscht und sehr verletzt. Dunkle Gedanken nagen an mir. Doch diesen bitteren Zug um den Mund, den will ich nicht haben. Ich will nicht, dass er sich in meinem Gesicht festkrallt und mich verunstaltet. Wenn ich heute mit Jesus diese schwere Enttäuschung bespreche und verkrafte, wird mein Gesicht wieder entspannt. Ich vertraue auf ihn, auf Jesus, der allein wirklich hält, was er verspricht. Ausserdem kenne ich ja das Gleichnis vom Splitter und dem Balken. Es berichtet davon, dass wir den Splitter im Auge unseres Bruders sehen, den Balken aber in unserem eigenen Auge nicht. Für mich ist das, was ich heute erfahren habe, kein Splitter. Es ist ein schwerer Balken, den ich wohl nicht so leicht wegbeten kann. Auch wenn ich um eine schöne Illusion ärmer geworden bin, so bin ich auch reifer, erfahrener geworden, und ich weiss wieder etwas mehr über den Menschen und seine Abgründe. Auch wenn das kein gutes Wissen ist, so habe ich doch die noch viel grössere Gewissheit, dass Jesus jeden Tag bei mir ist, mir hilft, mich leitet und hoffentlich mehr und mehr davor bewahrt, dass ich andere enttäusche und verletze. Je mehr ich mich an Jesus und je weniger an Menschen hänge, desto freier werde ich. Doch da habe ich noch viel zu lernen.Illusionen verloren
Vergeben wie Jesus
Heute beten
Splitter und Balken
Datum: 30.04.2005
Autor: Esther Reutimann
Quelle: Chrischona Magazin