„Öffentlich ist alles, was nicht privat ist“: Wo rassistische Witze strafbar werden

Frohe Runde? Oder Ablehnung gegen Fremde?

Das Recht kann die Gedanken nicht kontrollieren und der Rechtsstaat garantiert die freie Meinungsäusserung; doch die Justiz wacht darüber, dass in der Öffentlichkeit die Menschenwürde Aller gewahrt bleibt. Wo beginnt diese Öffentlichkeit, wenn verächtlich über Menschen anderer Rasse, Volkszugehörigkeit oder Religion geredet wird?

Das Bundesgericht hat in einem Entscheid zum 1994 eingeführten Rassismus-Artikel (Art. 261bis des Strafgesetzbuchs) die Grenze neu definiert: Nun gilt alles als öffentlich, was nicht im engen privaten Rahmen gesagt worden ist. Damit wird laut der Neuen Zürcher Zeitung die Anwendung der Strafbestimmung erheblich ausgeweitet.

Wer andere rassistisch verunglimpft, macht sich künftig strafbar, wenn die Äusserung ausserhalb des „Familien- und Freundeskreises“ oder des „durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfelds“ zu vernehmen ist.

Der Lausanner Kassationshof hält seinem Grundsatzurteil fest, dass Bemerkungen, die Menschen wegen ihrer Rasse, Volkszugehörigkeit oder Religion verletzen, grundsätzlich „in einem Rechtsstaat inakzeptabel und an sich schon strafwürdig“ sind.

Strafbar sind allerdings nur öffentliche Äusserungen. Und Öffentlichkeit bestimmt das Bundesgericht nun nicht mehr nach der Zahl der Zuhörer. Vielmehr heisst es mit Bezug auf das Rechtsgut der Menschenwürde: «So gesehen kann als öffentlich im Sinne von Art. 261bis StGB alles gelten, was nicht privat ist.»

Anlass zum Urteil gab ein Vortrag über die SS, der in einer abgelegenen Waldhütte vor knapp 50 Personen aus der Skinhead-Szene gehalten wurde. Sie hatten nur gegen Vorweisung einer schriftlichen Einladung Zutritt. Unter diesen Umständen ist Öffentlichkeit laut dem Bundesgericht gegeben.

Laut der NZZ muss aber „die neue Rechtsprechung selbst auf eine kleine Runde von wenigen Personen angewendet werden, die sich mehr oder weniger zufällig am Tisch eines im Übrigen leeren Wirtshauses zusammengefunden haben“. Auch ein rassistischer Witz kann eingeklagt werden. Im Vorfeld der Abstimmung über den Artikel 1994 hatte der damalige Justizminister Arnold Koller festgehalten, Stammtischgespräche würden nicht unter die Bestimmung fallen.

Der Freiburger Strafrechtler Marcel Niggli äusserte bei Radio DRS die Meinung, dass sich durch das Bundesgerichtsurteil für die Situation am Stammtisch nichts ändere. Der rassistische Witz am Stammtisch sei bereits nach alter Praxis strafbar, wenn jemand so laut rede, dass andere mithören müssten. Das Urteil bedeute hingegen, dass die Gemeinden künftig ihre Säle den Skinheads für eine Veranstaltung mit „privatem“ Charakter nicht mehr zur Verfügung stellen müssen.

Datum: 18.08.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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