Labile Religionsfreiheit

Die Christen im Ägypten Al-Sisis

Um die Christen in Ägyptens ist es in den letzten drei Jahren nach dem Sturz der Muslimbrüder-Herrschaft ruhiger geworden. Nicht immer zu Recht. Nun wollen Christen den Jesus-Weg reaktivieren und hoffen auf mehr Präsenz aus Europa.
arabische Christen beim Worship
Koptische Christen in Kairo
Der ägyptische Staatspräsident al-Sisi

Dem Regierungswechsel im Juli 2013 waren über 40 Jahre mit gewaltsamen Ausschreitungen militanter Muslime und behördlichen Schikanen vorausgegangen. Dabei schien Ägypten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Musterland für gutes Zusammenleben einer Muslimmehrheit mit ihrer christlichen Minderheit zu sein: Die mehrheitlich koptischen Christen beteiligten sich am Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft, waren in der nationalistischen Wafd-Partei führend vertreten, sassen stark im Parlament, stellten Minister und einige Male sogar ägyptische Ministerpräsidenten.

Gute Zeiten für Kopten unter Nasser

Erste Ausschreitungen mit angezündeten Kirchen und gekreuzigte Christen gab es erst im Winter 1951/52, als die Muslimbrüder die Macht zu ergreifen suchten. Der Militärputsch von Abdel Nasser kam ihnen aber zuvor. Unter seiner fast 20-jährigen Herrschaft – er starb 1970 – wurden der politische Islam entmachtet und die koptischen Christen gefördert. Evangelische und katholische Christen wurden hingegen als Kollaborateure des Kolonialismus betrachtet und schlecht behandelt, zum Beispiel mit Enteignungen und Gemeinde-Auflösungen. Die Kopten hingegen spielten in Nassers Arabischem Sozialismus eine wichtige Rolle. Nassers Chefideologe Kamal Ramzi Stino war orthodoxer Kopte. 1968 wurde eine neue koptische Kathedrale in Kairo eingeweiht, die alle umliegenden Moscheen überragte: einmalig in der islamischen Welt.

Die Herrschaft von Muslimbruder Anwar as-Sadat

Auf Nasser folgte jedoch der alte Muslimbruder Anwar as-Sadat (1970-1981). Als Friedensstifter mit Israel hat er in aller Welt noch immer einen guten Ruf, zu wenig ist über ihn als Feind der ägyptischen Christen bekannt: Er machte in der neuen Verfassung von 1972 die Scharia wieder zur staatlichen Rechtsquelle, befreite die Muslimbrüder aus den Gefängnissen und löste eine Gewaltwelle gegen Ägyptens Christen aus: Im Dezember 1972 wurde das evangelikale Bibel-Zentrum von Chanka im Norden Kairos als erstes einer ganzen Reihe von kirchlichen Gebäuden angezündet.

Höhepunkt antichristlichen Terrors

Diese Entwicklung setzte sich unter Präsident Mubarak (1981-2011) und auch während der Revolution des «Arabischen Frühlings» fort. Der islamistische Terror gegen die Christen erreichte unter der Herrschaft der Muslimbrüder (2012/13) seinen Höhepunkt.

Auch das folgende, von den Kopten ausdrücklich unterstützte Militärregime brauchte ein gutes Jahr, um antichristliche Terrorakte aus dem Untergrund der entmachteten Muslim-Brüder abzustellen.

Seit 2015 herrscht am Nil, was die Christen betrifft, relative Ruhe. Der Schein jedoch trügt: Ausserhalb der grossen Städte Kairo oder Alexandria geht der Islamistenterror weiter, vor allem in Oberägypten. Auch das Regime Al-Sisi hält nicht alles, was es versprochen hat: So lässt das neue Gesetz zur Erleichterung des Baus von Kirchen viel zu wünschen übrig ().

Entführungen von Christen in Oberägypten

Auf dem Land, besonders in Oberägypten geht der islamistische Terror gegen die christliche Bevölkerung weiter. Dort ist die ganz radikale Dschihadisten-Gruppe Takfir wa-Hidschra (Sühne und Weltflucht) seit den frühen 1970er-Jahren immer noch aktiv. Letzter Fall war die Entführung einer ganzen christlichen Familie aus Manfalut, darunter ein Kind. Sie wurden in Höhlen am östlichen Nilufer verschleppt, die beliebte Schlupfwinkel der Dschihadisten sind. Erst nach Zahlung eines Lösegelds von 150'000 ägyptischen Pfund, umgerechnet 17'000 Franken, einer für ägyptische Verhältnisse ungeheuren Summe, wurden sie freigelassen. Sie berichteten, dass man sie mit dem Tod bedroht hatte, falls sie nicht zum Islam überträten. Erst als sie standhaft blieben, kam das Lösegeld ins Spiel, wie die koptische Wochenzeitung Watani am 5. Oktober 2016 berichtete.

Ermutigung aus Europa

Ein gutes Beispiel für die Unterstützung ägyptischer Christen ist der Einsatz evangelischer Schülerinnen und Schüler aus dem Rheinland in den Herbstferien. Jugendliche aus der Evangelischen Schülerinnen- und Schülerarbeit im Rheinland und der koptisch-orthodoxen Jugend NRW reisten zusammen nach Ägypten. Während zwei Wochen kombinierten sie Elemente einer internationalen Jugendbegegnung und eines Arbeitscamps miteinander. Erstes Ziel war die Gemeinschaft «Anaphora», eine internationale und nationale Begegnungsstätte der koptischen Kirche nordwestlich von Kairo. Hier lebten die Teilnehmenden in der Gemeinschaft mit – von der morgendlichen Frühmesse bis hin zum Abendgebet. Dazwischen wurde die freiwilligen Mitarbeitenden von «Anaphora» bei ihrer alltäglichen Arbeit unterstützt.

Der Jesus-Weg

Von koptischer Seite wird jetzt angeregt, den alten «Jesus-Weg» nach dem Beispiel des Jakobus-Weges in Europa neu zu beleben. Der «Jesus-Weg» führt auf den überlieferten Spuren des Kindes Jesu in Ägypten von Kairo bis hinauf nach Oberägypten. Im Mittelalter war er vielbegangen, auch Minnesänger wie Oswald von Wolkenstein hatten von ihren Erlebnissen auf diesem Weg berichtet. Eine Neubelebung würde Christen aus aller Welt besonders nach Oberägypten führen, wo ihre Präsenz den dort bedrängten Kopten helfen würde.

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Datum: 22.10.2016
Autor: Fritz Imhof/ Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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