Dunkle Wolken im arabischen Frühling
Muslime die Christen bei einem Gottesdienst beschützen und Christen, die den Muslimen den gleichen Dienst erweisen – diese Bilder gingen während der ägyptischen Revolution um die Welt. Mittlerweile aber sind die Kopten, wie sich die ägyptischen Christen nennen, ins Visier der Fundamentalisten geraten. Im Machtvakuum im Land der Pharaonen werden mehr Übergriffe als früher registriert, bedauert Medhat Klada, Präsident der europäischen Kopten-Dachorganisation «Union of Coptic Organisation Europa» im Hintergrundgespräch mit Livenet.
Livenet: Die Ägypter haben sich im sogenannten «Arabischen Frühling» von der Mubarak-Diktatur befreit – ist nun Freiheit eingekehrt?
Medhat Klada: Ägypten ist von der Diktatur befreit, darüber haben wir uns sehr gefreut. Auch die Kopten haben sich an dieser Revolution beteiligt, mehrere sind dabei ums Leben gekommen. Wir hofften, dass es besser wird, gut aber ist es noch nicht, wegen den islamischen Fundamentalisten, namentlich die Salafisten, die Jamal Islamia und die Muslimbruderschaft. Sie fürchten niemanden und beherrschen teils die Strasse. Sie haben Einrichtungen von liberalen Muslimen demoliert und sie gehen massiv gegen Christen vor.
Sind die Kopten freier als früher?
Nein, die Situation ist schlechter geworden. Dies weil muslimische Fundamentalisten aus den Gefängnissen gelassen wurden. Sie haben sich gegen Christen formiert und auch gegen liberale Muslime. Früher hörten wir alle zwei bis drei Wochen von Angriffen auf Christen und dass koptische Mädchen entführt wurden. Heute geschieht dies jeden Tag. Auch Häuser und Kirchen werden verbrannt, in der Stadt Qina wurde ein Kopte zum Beispiel niedergestochen und aus dem dritten Stock eines Hauses geworfen. Einem anderen wurde in Anlehnung an die Scharia sein Ohr abgeschnitten.
Im Verlauf der Revolution sah man, wie ein Priester einen Imam umarmt. Was ist daraus geworden?
Das ist normal, wir sahen dies auch im Oktoberkrieg 1973, Christen und Muslime kamen während dieser Zeit sehr gut miteinander aus. Sadat war Fundamentalist, der damals zur Muslim-Bruderschaft gehörte. Als der Krieg dann fertig war, hievte Sadat Muslimbrüder in die Schlüsselstellen der Gesellschaft.
Auch in der jüngsten Revolution ist ähnliches zu beobachten: Muslime schützten Christen, die ihre Gottesdienste feierten und die Christen schützten die Muslime – sie waren alle zusammen gegen die Diktatur. Nun aber wollen die Salafisten, die Jamal Islamia und die Bruderschaft die Kopten vernichten.
Was ist geschehen, vom Moment der Umarmung, bis zu diesen jüngsten Übergriffen?
Alle sagten, dass sich die Menschen nun einig sind – aber das war nur für eine kurze Zeit. Als die Diktatur weg war, haben die Fundamentalisten in den Kopten neue Feinde gefunden; und auch in den liberalen Muslimen und anderen Minderheiten wie den Bahai. Sie verbrennen Häuser und vertreiben jene, die ihnen missliebig sind. In Helwan in der Nähe von Kairo wurden 3000 Christen vertrieben, vor den Augen des Militärs, das gegen die Fundamentalisten machtlos ist. Das Militär selbst hat zuletzt auf ein Kloster geschossen.
Wie viel Prozent Rückhalt hat die Bruderschaft im Volk?
Die Zahl ist klein. Und auch die der Salafisten und Jamal Islamia dazugezählt reicht nicht, um die Macht in Ägypten an sich zu reissen. Aber durch die Religion können sie viele beeinflussen. Am 19. März, als Änderungen in der Konstitution vorgenommen wurden, liessen sie in den Moscheen verkünden, wer so stimmt, wie sie fordern, gehe ins Paradies, wer gegen sie votiert, fahre zur Hölle. 77,2 Prozent stimmten so, wie die Bruderschaft forderte. Sie spielen mit der Religion und unterdrücken die Leute – ohne die Religion, haben sie keine Macht.
Werden die jungen Leute, die revoltierten, die Bruderschaft überhaupt akzeptieren?
Die Revolution wurde von den jungen Leuten und den Intellektuellen auch via Twitter und Facebook organisiert. Sie sind liberal. Die Bruderschaft erschien am dritten Tag und wollte die Revolution möglichst für sich nutzen.
Gerade kürzlich organisierte die Bruderschaft eine grössere Kundgebung, die Fundamentalisten wurde aber von den jungen Leuten vertrieben, die sagten: «wir wollen hier keine Bruderschaft! Ägypten muss ein ziviles Land sein.» Es gibt gute Zeichen und wir hoffen, dass diese bleiben. Die jungen Ägypter wollen keinen religiösen Staat.
Es kann in beide Richtungen kippen?
Es kann in beide Richtungen kippen. Ich bin misstrauisch, wenn ich die Macht und die Gewalt gegen die christliche Minderheit sehe; es sind schreckliche Bilder seit der Revolution zu sehen. Derzeit streben die Bruderschaft und andere Fundamentalisten nach der Macht. Wenn ich andererseits sehe, wie sich die jungen Menschen gegen die Kundgebung der Bruderschaft stellten, dann habe ich Hoffnung – Gott sei Dank gibt es eine Hoffnung, dass es besser wird.
Ich arbeite für die Union der europäischen Kopten, wir trafen den Innenminister und weitere Regierungsmitglieder. Sie stehen uns gut gegenüber, aber leider ist die Macht derzeit beim Militär, welches die Augen vor der Gewalt gegen uns verschliesst. Ich hoffe, dass bald ein ziviler Staat und eine zivile Regierung folgen.
Wir müssen Kämpfen. Nicht mit Waffen – als Christen haben wir keine Waffen, stattdessen mit Informationen und Ausbildung.
Wer finanziert die Jamal Islamia? Woher kommt das Geld der Bruderschaft?
Unter anderem aus Saudi-Arabien. Vor einer Woche wurden zum Beispiel erneut Millionen saudische Rial transferiert. Die Unterstützung erfolgt, weil die Fundamentalisten ebenfalls die wahhabitische Sichtweise vertritt, also die strenge, saudische Form des Islam. Sie will die Welt beherrschen und fördert deshalb den Wahhabismus in vielen – auch westlichen – Ländern.
In Ägypten verteilten die Fundamentalisten jüngst den armen Menschen Taschen, die zwanzig ägyptischen Pfund enthielten, sowie Reis und Makronen. So konnten sie die Armen beeinflussen. Ich verfasste einen Artikel in dem ich schrieb, «Das ist keine Demokratie, sondern die Demokratie von Reis und Makronen.»
Datum: 14.04.2011
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch