Zürcher Landeskirche in multireligiöser Gesellschaft

Rathaus in Zürich

Wie ein roter Faden zog sich am Dienstag die Herausforderung, in der multireligiösen Gesellschaft Kirche zu sein, durch die Beratungen der Zürcher reformierten Synode. Fragen stellen sich in der Schule, in neuen kirchlichen Angeboten und in interreligiösen Gesprächen.
Die alte Prägung Zürichs weicht sich durch Migration, Austritte und geringe Kinderzahlen der alteingesessenen Bevölkerung weiter auf: Bloss noch zwei Drittel der im Kanton Wohnenden sind reformiert oder katholisch, wie der Jahresbericht des Zürcher Kirchenrates vermerkt (38 und 29 %). Bloss ein kleiner Bruchteil der Kirchenglieder besucht an einem durchschnittlichen Sonntag den Gottesdienst. Vor zwei Jahren ist die reformierte Bevölkerung unter die 500'000er-Marke gesunken.

Künftig kaum Pfarrer in der Schule

Zwar ist eine staatliche Anerkennung islamischer Gemeinschaften nach dem Volksnein von 2003 vorerst vom Tisch. Und der Kanton gesteht den Landeskirchen weiterhin beträchtliche Privilegien zu. Doch kann der Bedeutungsverlust der beiden Landeskirchen daran abgelesen werden, dass sie ihren exklusiven Status als Partner des Staates im schulischen Religionsunterricht verloren haben. Dies könnte die Reformierten, die seit Zwingli das öffentliche Leben gestalteten, besonders schmerzen. Pfr. Carl Schnetzer wies auf den Verlust hin, der entstehe, wenn der Pfarrer nicht mehr in der Schule präsent sei.
Das neue Fach ‚Religion und Kultur', das der Bildungsrat konzipiert, gab in der Synode erneut zu reden - wobei tiefergehende Fragen nicht erörtert wurden. Die beiden grossen Kirchen (die nicht kantonal organisierten Freikirchen blieben ganz draussen) konnten wie vier Weltreligionen das Wesentliche ihres Glaubens zuhanden des Lehrplans festhalten, und einzelne Theologen wirken in der Ausbildung der Lehrkräfte mit. Doch werden die Pädagogen im Fach, das für die Oberstufe beschlossen und für die Primarschule geplant ist, die Theologen als Unterrichtende fast vollständig verdrängen.

Irritation über Obligatorium in Unterstufe

Für die Nachqualifikation - die Bildungsdirektion fordert erkleckliche 180 Stunden und prüft jede Bewerbung - hatten sich letztes Jahr noch 70 Pfarrer und Katecheten gemeldet. An dem ab August laufenden Pilotversuch wollen sich, wie die zuständige Kirchenrätin Anemone Eglin mitteilte, allerdings bloss 16 kirchliche Lehrkräfte beteiligen. Schnetzer sagte, er könne diese Weiterbildung nicht mit seinem Vollzeitpfarramt vereinbaren.
Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich sagte vor der Synode, dass das Obligatorium des Fachs in der Primarschule bei nicht-christlichen Gemeinschaften Irritation ausgelöst hat. Im Unterschied zur Oberstufe, wo alle fünf Weltreligionen gleichwertig behandelt werden sollen, will der Bildungsrat in der Primarschule dem Christentum den Vorrang geben, um der hängigen Volksinitiative für die Weiterführung von "Biblischer Geschichte" den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es ist absehbar, dass viele Eltern - Christen wie Muslime - mit Religionskunde in der Unterstufe Mühe bekunden werden.

Weltreligionen in der Bahnhofkirche

Die Vielfalt der Religionen kommt auch in neuen kirchlichen Angeboten zum Tragen. In der Synode kritisierte Pfr. Jürg Buchegger die multireligiösen Elemente der ökumenischen Bahnhofkirche; er erwähnte die Kerze mit den Symbolen der fünf Weltreligionen und den Platz, der Muslimen zum Gebet Richtung Mekka angeboten wird. Der zuständige Kirchenrat Marcel Riesen wertete diese Elemente hingegen positiv: als "ein Zeichen der Gastfreundschaft unserer Kirche".
Am Vormittag hatte Kirchenratspräsident Ruedi Reich sein unauffälliges Engagement für den interreligiösen Runden Tisch erläutert, der dem praxisbezogenen Austausch unter Leitern der Landeskirchen und jüdischen und islamischen Verantwortlichen in Zürich dient. Mit den Muslimen habe man "manche Pendenz", sagte Reich. Und hielt fest: "Je stärker wir zu unserer christlichen Identität stehen, desto offener können wir auf Menschen anderer Religionen zugehen."
Ins mediale Rampenlicht trat Reich, als er im August 2005 den Dalai Lama begrüsste - und ihn, anders als die TV-Moderatorin, nicht als ‚Heiligkeit' titulierte. Der Synodale Daniel Reuter hob den Unterschied zwischen dem Runden Tisch und dem kürzlich gegründeten Schweizerischen "Rat der Religionen" hervor. Hier werde gesprochen und Anteil genommen, der Begriff ‚Rat' lasse an Beratungen und Beschlüsse denken.
Für ein eindeutiges Bekennen des christlichen Glaubens setzte sich Sonja Beier-Maag ein. Sie zitierte einen in der Schweiz lebenden Muslim, der im Fernsehen mehr Profil von Christen gewünscht hatte…

Hintergrund:
Religionspädagogen zum Zürcher Fach, Dezember 2004
Der Zürcher Bildungsrat und die Volksinitiative

Datum: 15.06.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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