Leben für Kinder des verlorenen Sohns
Den ersten Input des Anlasses, mit dem das Internetportal Livenet sein zehnjähriges Bestehen in der Ostschweiz beging, hielt Christian Stricker, Gründer und Leiter des Godi-Netzwerks. Er stellte den Anwesenden zwei Herausforderungen vor Augen: Einerseits gelte es, den Blick zu haben für «verrägneti Margritli am Wägrand»: Zeit zu nehmen für Mitmenschen, die uns brauchen, Zeit für kleine Beziehungen mitten im Alltag. «Damit das Evangelium authentisch weitergegeben werden kann, braucht es uns alle, dass wir die Antenne ausfahren, auf den Heiligen Geist hören und im rechten Moment mutige, kleine Schritte tun – mit dem Risiko, dass einer sich ärgert.»
Auf dem Grat
Zum andern, so Christian Stricker, gehen jene, die das Evangelium weitergeben, in der säkularen Gesellschaft auf einem Grat. «Welche Hebamme darf noch beten für das Kind?» Der Lehrer gebe dem Schüler einen Stein als Glücksbringer mit, was ohne Folgen bleibe; würde er sich hingegen als Christ outen, könnte ihm das angekreidet werden. «Der christliche Glaube hat viel Land verloren – und wir verlieren weiter Land.» Nach Strickers Beobachtung liegt für Christen darum eine «realistische Depression» nahe: dass sie sich zurücknehmen, ihren Glauben für sich behalten. Oder «ich kann in eine schwebende Zuversicht hineingeraten, in der ich mich pudelwohl fühle – und die Umgebung vergesse ich.» Vorbildlich hätten dagegen Kaleb und Josua gehandelt, sagte Stricker. «Sie wichen dem Konflikt nicht aus, fielen nicht in die Depression, flohen nicht in eine fromme Welt.» Dem Internetportal Livenet dankte der Jugendpastor namentlich für die Texte über Schöpfung. Es zeige auf, «warum es sich lohnt, auf Gott zu vertrauen, warum Wahrheit wirklich Wahrheit ist».
Evangelium für Postmoderne
Der Prediger und Livenet-Autor Andreas Boppart («Boppi») schloss in seinem Input an Stricker an. «Wir haben christliche Nestli und fühlen uns darin so wohl, dass wir nicht merken, wie wir an den Nöten der Gesellschaft vorbeileben.» Christen hätten sich aus der Gesellschaft herausgenommen, die sie als feindlich empfänden. «Wir merken erst, dass etwas falsch läuft, wenn es anfängt, uns weh zu tun.» Davon sei in kuscheligen Gemeinden nicht viel zu spüren. Boppi forderte für die Schweiz und Europa «ein neues Denken über Kirche und Mission, Jesus und das Christsein». Den Jungen von heute sage die Geschichte, die Jesus vom verlorenen Sohn erzählte (Lukas 15), nichts mehr – «weil sie kein verlorener Sohn sind: Sie haben den Vater gar nie gekannt. Sie sind Kinder des verlorenen Sohns.»
«Jesus lässt Menschen den Himmel schmecken»
In Postmoderne sei Evangelisation für diese Kinder des verlorenen Sohns zu gestalten, als beziehungsorientierter Prozess, im Dialog, durch die ganze christliche Gemeinde. Alltagsfremde Glaubensformeln und leere Frömmigkeit würden gemieden, doch viele suchten nach echten und verändernden Erfahrungen mit dem Göttlichen. Die Menschen der Postmoderne müssten nicht mit kaputten Beziehungen leben, sagte Boppi: «Jesus lässt Menschen den Himmel schmecken – nicht nur, dass er uns in den Himmel bringt, sondern Leben wird wiederhergestellt: Er führt jetzt zurück in das, was Gott für uns gedacht hat.» Postmoderne Menschen hätten das Verlangen nach Gemeinschaft. «Wir müssen lernen, sie in unsere Gemeinschaft hineinzulassen.» Europa solle die Botschaft hören, dass «Beziehungen wiederhergestellt und geheilt werden».
Zu Beginn der Matinée in der Stiftung Schleife hatte ein viertelstündiges Video die Entwicklung und aktuelle Arbeit von Livenet.ch & Jesus.ch vorgestellt und die Bedeutung des Portals im evangelischen Umfeld skizziert. Dem brauchte Livenet-Geschäftsführer Beat Baumann nicht viel beizufügen. Er dankte für die Unterstützung der Arbeit, die sich nach wie vor mehrheitlich durch Spenden finanziert. Stilvoll umrahmt wurden die Beiträge von der Sängerin Rebecca Watta. Von ihrem Mann Markus an der Elektrogitarre einfühlsam begleitet, nahm sie die Anwesenden mit auf die Wege der Zuversicht und Freude, welche der Glaube auftut. Beim Apéro, gestiftet von der Stiftung Schleife, ergaben sich manche Gespräche.
Das Referat von Chrisistian Stricker und Andreas Boppart finden Sie unten als MP3-Dokument zum herunterladen.
Datum: 26.10.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch