Adam, der erste Mensch nach Mass

Adam Nash
Die Nash-Familie hat „medizinische Geschichte“ geschrieben
Menschen entscheiden über Leben oder Tod

Adam Nash ist der erste Mensch, der im Labor gezeugt, getestet und ausgewählt wurde, um als Zellspender zu dienen. Die "Produktion" von Kindern, die möglichst der eigenen Vorstellung entsprechen, könnte in Zukunft durchaus gängige Praxis werden. Dafür spricht die Entwicklung der Reproduktionsmedizin und der Gentechnik in den letzten 20 Jahren.

Ende August 2000 kam Adam Nash zur Welt. Genauso wie ein Dutzend anderer Babys in derselben amerikanischen Geburtsklinik irgendwo im Bundesstaat Colorado: unter Schmerzen, von seiner Mutter geboren. Und doch ist Adam ein Kind wie keines vor ihm. Bereits Sekunden nach seiner Geburt zogen Ärzte Blut aus seiner Nabelschnur, um später die Stammzellen daraus in den Körper seiner sechsjährigen Schwester Molly zu leiten. Für Molly sind Adams Zellen die lange erhoffte Medizin, um zu überleben.

Molly Nash leidet unter der seltenen Erbkrankheit Falconi-Anämie und kann nicht genügend Knochenmarkzellen bilden. Das führt häufig zu Leukämie und anderen Erkrankungen und lässt Kinder in der Regel nicht älter als sieben Jahre alt werden. Die Ärzte sind überzeugt, dass Molly nur durch eine Knochenmarktransplantation vor einem baldigen Tod gerettet werden kann.

Gezeugt als Spendersohn

Adam ist ein Kind der modernen Reproduktionsmedizin. Um geeignete Spenderzellen zu erhalten, führten die Spezialisten des Reproductive Genetics Institute in Chicago Samen und Eizellen seiner Eltern unter dem kalten Licht der Laborlampen in der Retorte zusammen.

Das Ehepaar versteht dieses Vorgehen als Liebesakt der besonderen Art. Ihnen ging es um das Leben ihres ersten Kindes Molly. Deshalb entschlossen sie sich zu der in den meisten europäischen Ländern verbotene Präimplantations-Diagnostik (PID).

Neben Adam wurde ein Dutzend weiterer Embryonen durch In-Vitro-Fertilisation gezeugt und anschliessend einem genetischen Test unterzogen. Sie fielen alle durch und wurden getötet. Nicht weil sie einen schweren Gendefekt aufgewiesen hätten, sondern weil sie nicht so waren, wie es sich die Reproduktionsmediziner und die Eltern erhofft hatten. Sie waren nutzlos, weil sie ihrer Schwester nicht die richtigen Zellen hätten spenden können. Nur einer wurde auserwählt: Adam. Er hatte als einziger den Gentest bestanden. Nicht weil er der kräftigste Embryo gewesen wäre, sondern weil diese Erbkrankheit nicht in seinen Genen steckte und sein Körpergewebe mit Mollys Zelltyp am ehesten übereinstimmte. Deshalb fiel die Wahl auf Adam. Er durfte weiterleben und wachsen und wurde der Mutter eingepflanzt. Sie trug ihn aus und gebar ihn. Adam war da, der Spendersohn!

Ethische Bedenken? Nein, denn immer steht die Hilfe für den Nächsten, für andere, im Vordergrund. Die Embryonenzellforschung verspricht Therapien für bisher unheilbare Krankheiten.

Ist ein Menschenexperiment legitim?

Doch die "Produktion" von Adam Nash durchbricht an einem bestimmten Punkt die Grenze der Menschlichkeit. Ihm werden weitere und immer mehr Kinder folgen, die nach dem Wunsch von Ärzten und Eltern ausgewählt wurden. Schreckensvisionen bis hin zur Menschenzucht nach Dienst- und Herrenrassen erwachen. Klein-Adam kann nichts dafür, dass er lebt. Seine zwölf Brüder konnten nichts dafür, dass sie starben. Kindermacher hatten über Leben und Tod der Embryonen bestimmt. Sie waren dem Geheimnis der Zeugung und Entstehung eines neues Menschen nicht mehr staunend gegenübergestanden, sondern hatten mitten hineingegriffen.

Viele Bioethiker legitimieren inzwischen solche Menschenexperimente. Jeffrey Kahn von der Universität Minnesota räumt zwar im Blick auf Adam ein: «Wir haben eine Grenze überschritten.» Dass das für ihn aber nichts Negatives ist, offenbart Kahn mit der weiteren Erklärung: «Wir haben auf Grund bestimmter Merkmale ausgewählt; keine Merkmale, die für das spätere Kind am besten wären, sondern für eine andere Person.» Adam, ein Kind purer Nächstenliebe?

Ein Kind wird "zum Spender verknurrt"

Kritisches Fragen muss erlaubt sein: Wie viel Liebe steckt hinter der elterlichen Aktion? Dient Adam nicht eher dazu, die elterliche Verzweiflung angesichts ihres sterbenden, kranken Kindes zu lindern? Jedenfalls konnte Adam keinen Schein für eine Organspende unterschreiben. Er musste als Spender herhalten.

Was, wenn sich Adam eines Tages bewusst wird, dass er auf die Welt kam, um als Spender zu dienen? Was, wenn er feststellt, dass seine Schwester in einigen Jahren trotz seiner gespendeten Körperzellen stirbt? Wenn Adam irgendwann einmal dagegen aufbegehrt, dass man ihn ungefragt zum Spender gemacht hatte? Wenn er merkt: «Die wollten mich nur, damit ich meiner Schwester Blut spende. Was passiert mit mir, wenn ich mich verweigere ...»?

Ein zweckgebundenes Geschenk

In der Schweiz und in Deutschland ist die Technik der PID verboten. Der deutsche Ethikrat hat sich jedoch am 23. Januar 2003 dafür ausgesprochen, die Präimplantationsdiagnostik unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Staaten wie Belgien, Grossbritannien und die USA haben weniger strenge Richtlinien und erlauben Ausnahmen. Nach Schätzungen sind durch die Präimplantations-diagnostik

Schätzungen zufolge konnten weltweit einige hundert Paare mit schweren Erbkrankheiten dank PID denn doch Eltern werden. Ohne dieser Methode wäre das Risiko, dass sie das betreffende Leiden tatsächlich an ihre Kinder weitergeben würden, zu gross gewesen.

Doch jetzt kommt Adam – und bald auch seine "Nachfahren". Adam wurde selektioniert und durfte leben, weil er gesunde Gene in sich trug. Aber dieses Glück allein hätte ihm noch nicht gereicht. Er wurde nur deshalb zum Leben bestimmt, weil er sich als Spender von Blutzellen eignet. Die Meinungen der Wissenschaftler über die Rechtmässigkeit, Kinder nach diesem Kriterium auszulesen, sind geteilt. Der deutsche Fachmann Heribert Kentenich von der Frauen- und Kinderklinik Pulsstrasse in Berlin sagte gegenüber dem «Spiegel»: «Ein Kind war bisher immer ein Geschenk. Adam Nash aber ist das erste Kind der Menschheitsgeschichte, das ein zweckgebundenes Geschenk ist.» Sind das nicht viel zu moderate Worte für einen widermenschlichen Vorgang, der in einer eiskalten Welt der Nützlichkeit jenseits jeder wärmenden Liebe endet? Soll der Gentest über das Leben eines Kindes entscheiden? Was ist mit der Würde derjenigen Embryonen, die den Test nicht bestehen? Das Unrecht, das den anderen Embryonen geschah, schreit zum Himmel. Auch sie waren gezeugt, aber sie durften nicht weiterleben! Ihr Schrei ist stumm. Andere müssen ihm ihre Stimme geben. – Wo bleibt der Aufschrei der Menschen, die an den Schöpfergott glauben?

Ein Kind nach Mass

Die Gründe, sein Kind nach Mass zu wählen, werden zunehmen wie die Kaninchen. Die Produktion von Nachwuchs, der möglichst der eigenen Vorstellung zu entsprechen hat, könnte durchaus zur Praxis der Zukunft werden. Reproduktionsmedizin und Gentechnik haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren in genau diese Richtung entwickelt. Die Fortpflanzung könnte künftig ausschliesslich im Labor erfolgen. Die Selektion in genehme und nicht genehme, werte und des Lebens nicht werte Kinder würde dann zur Routine.

Der Wunsch: «Jetzt möchten wir ein Kind», wäre gleichbedeutend mit dem Gang zum Reproduktionsfachmann. Der nimmt dann nach einem beratenden Gespräch den männlichen Samen in Empfang, zapft der Frau im Nebenzimmer von dank eines hormonellen Katalysators einige Eizellen ab und führt beides im Reagenzglas zusammen. Die so entstehenden Embryonen werden einem Gen-Screening unterworfen und das Testresultat mit den Eltern besprochen ...

Moderne Tests erkennen nicht nur Defekte der Chromosomen, sondern können auch Gene bestimmen, die beispielsweise einen Menschen zwischen 30 oder 40 Jahren krank machen. Im gemeinsamen Gespräch legen dann Arzt und Klient einen auf die eigenen wie auch die gesellschaftlichen Bedürfnisse abgestimmten Selektions- und Wertemassstab fest. "Soll es ein Mädchen oder ein Junge sein, blau- oder schwarzäugig? Welche genetischen Anfälligkeiten werden in Kauf genommen, welche überhaupt nicht? Ist ein Embryo in der Auswahl, der unseren Vorstellungen entspricht?" Diese Zukunftsvision müsste man als absurd und zynisch abtun – wäre ihre Verwirklichung nicht bereits absehbar.

Überarbeitung, Ergänzung: Livenet, Antoinette Lüchinger

Datum: 08.03.2003
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: factum Magazin

Werbung
Livenet Service
Werbung