«Der letzte Ausdruck eines Hilferufs»
«Dass der Protagonist (André Rieder -Red) sich beim Sender meldete, hätte ein Hilferuf sein können», schreibt der Churer Ethiker. «Stattdessen nahm der Sender das ‚fatale Drehbuch’ auf und begleitete den Mann gemäss seinen Wünschen.» SF1 hatte die Doku am 18. Februar um 20 Uhr – also zur besten Sendezeit – ausgestrahlt.
Gravierendes Defizit
Das gravierendste
Defizit liegt aber nach Ansicht Schmitts darin, dass die «bestehenden
Alternativen im Umgang mit schwer belastenden Leid- und Schwächesituationen
ausgeblendet werden». So aber habe sich der Beitrag negativ auf die kulturelle
Bewältigung dieses schwerwiegenden Themas ausgewirkt. Zu kurz sei auch der
Aspekt gekommen, dass psychisch kranke Menschen oft Suizidabsichten hätten und
keine Alternative mehr sähen.
Gerade weil ein
Dokumentarfilm wie jedes Erzählprodukt lediglich Ausschnitte aus dem Geschehen
zeige und ungewollt auch die Deutung des Autors einfliessen lasse, müsse man
bei diesem Thema auf ausreichende Vielfalt und Fairness achten. Dies gelte für
die Wahl der Motive wie auch die gezeigten Szenen.
Nach Hoffnung gesucht?
In einem Interview
mit dem Tages-Anzeiger verteidigte sich der Produzent der Doku, Hanspeter Bäni,
gegen Vorwürfe. Er habe vergeblich versucht, André Rieder von seinem Vorhaben
abzubringen.
Schmitt meint
dagegen, allein die Tatsache, dass Rieder seinen Suizid-Plan als Drehbuch
angeboten habe, lasse darauf schliessen, dass er letztlich soziale Anerkennung
und ein lebbare Hoffnung gesucht habe.
Kommentar
Welche Freiheit wollen wir?
Der Ethiker Hanspeter
Schmitt vermisst im Beitrag über den Suizid von André Rieder eine Diskussion
darüber, dass rechtlich legitimierte Sterbehilfe-Organisationen den Druck auf
Dritte subtil erhöhen. Menschen, die einen Suizid für sich in Betracht ziehen,
gäben letztlich ihre Freiheit preis, wenn diese Möglichkeit eine anerkannte
Option für Verzweifelte sei.
Darauf weist auch der
Männedorfer Jurist Peter Rosenstock hin. Er unterscheidet zwischen dem Recht
auf Selbstbestimmung über Leben und Tod sowie der «radikalen Freiheit», wie sie
der Ethiker Arthur Rich beschrieben hat. Freiheit im christlichen Sinne
bedeutet, nicht unter ein fremdes Joch zu geraten, also nicht fremdbestimmt zu
werden. Gerade der «Gehorsam gegenüber Christus» befreit uns von den
Zeitgeistern und Meinungsdiktatoren. Er verhilft uns zu wahrer Unabhängigkeit
und zu einer Autonomie, die ihren Anker in Gott hat.
Eine rechtliche
Regulierung würde dagegen Suizidhilfeorganisationen eine öffentliche
Anerkennung verschaffen. Und er würde diejenigen, die heute noch um einen
begleiteten Suizid kämpfen, zu Menschen machen, die sich rechtfertigen müssen,
wenn sie diesen Service nicht in Anspruch nehmen wollen.
Aus christlicher
Sicht macht daher nur ein Verbot von organisierter Suizidhilfe wirklich Sinn.
Der beanspruchte Artikel 115 im Strafgesetzbuch darf nur für Situationen
Geltung haben, für die er ursprünglich geschaffen worden ist. Er darf nur nahen
Angehörigen Straffreiheit ermöglichen, die unter starkem Gewissensdruck
handeln, weil sie einem nahen Menschen helfen möchten, sein Leiden zu
verkürzen. Die Gesellschaft darf aber nicht auf diese Möglichkeit setzen und
sie gar an Organisationen delegieren. Sie muss vielmehr mit der breiten
Einführung der Palliativpflege das Menschenmögliche tun, um Schwerkranken
Linderung zu verschaffen. Die Christen sind andererseits dazu berufen,
Notleidende zu begleiten – und sich dazu auch vorzubereiten und ausbilden zu
lassen.
Zum Thema:
Ultimative Lösung für einen psychisch Kranken?
Datum: 11.03.2011
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Kipa