Theologen im Wahlkampf: Umweltschutz und Gerechtigkeit

Dorothea Loosli, Gruene Bern
Bundeshaus, Bern
Daniel De Roche, EVP Fribourg

Auch Theologen wollen in den Nationalrat: Allein von der Theologischen Fakultät Luzern bewerben sich am 21. Oktober drei Kandidaten um einen Sitz im 200-köpfigen Nationalrat. Was ist ihre "Kernkompetenz"? Und wo sehen sie die grössten Herausforderungen für die Schweiz? Die Presseagentur Kipa hat sechs Kandidierende befragt.

Welche "fachliche Kernkompetenz" hat eine Theologin oder ein Theologe in ein politisches Parlament einzubringen? "Die Liebe zum Mitmenschen!" meint knapp und bündig die Bernerin Dorothea Loosli, reformierte Theologin und Kandidatin der Grünen im Kanton Bern.

Sie sehe, so Loosli, in den politischen Debatten nicht Gegner, die es niederzumachen gelte, sondern wolle Partner gewinnen und mit diesen "konstruktiv um Lösungen ringen ohne Schwarz-Weiss-Malerei". Alle hätten nämlich Bedürfnisse und Anliegen, die aus dem jeweiligen Blickwinkel heraus ihre Berechtigung hätten, meint die beruflich derzeit als Mediatorin tätige Theologin. Es gehe einfach darum herauszufinden, "was es wirklich braucht, um in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung die Vielfalt in der Einheit zu leben."

Ethische Fragen noch und noch

Die Zürcherin Jeanine Kosch, römisch-katholische Theologin und Kandidatin der Grünen im Kanton Zürich, weist auf zentrale gesellschaftliche Fragen hin, mit denen man sich in der theologischen Ethik befasse. Etwa in der Gesundheitspolitik: "Rationierung, Rationalisierung, Sparen - was ist (noch) menschenwürdig?" Theologische Ansätze seien auch in der Entwicklungszusammenarbeit oder bei friedensfördernden Massnahmen relevant, sagt die Geschäftsführerin der Entwicklungsorganisation "Interteam". Und auch im Arbeitsrecht (Sonntagsruhe, Arbeitsplatzflexibilisierung).

Was gelebte Nächstenliebe heissen kann

Grundsätzlicher wird bei der Frage nach der Kernkompetenz der grüne St. Galler Nationalrat Urs Bernhardsgrütter, der auf dem Dritten Bildungsweg in Luzern Theologie studierte: "Demut vor jeglichem Leben, Respekt vor der Meinung der anderen und die Gewissheit, dass letztlich das Schicksal nicht in der Hand von uns Menschen liegt." Umweltschutz und Einsatz für soziale Gerechtigkeit sind in seinen Augen "gelebte Nächstenliebe".

Gesellschafts- und herrschaftskritisch

Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern und CVP-Kandidat, definiert die fachlichen Kernkompetenz eines Theologen als die Fähigkeit, "sich in einer prinzipiell gesellschafts- und herrschaftskritischen Haltung den Menschen zuzuwenden und sich aus christlicher Motivation für Schwächere und Benachteiligte stark zu machen." Markus Arnold, Studienleiter und Dozent für Theologische Ethik am Religionspädagogischen Institut der Universität Luzern, ist als Präsident der CVP des Kantons Zürich überzeugt: "Es ist gut, wenn es in der CVP-Fraktion auch Theologen hat."

Ganzheitlicher politischer Ansatz

Die Vertretung eines "ganzheitlichen politischen Ansatzes", wie er von den Kirchen im ökumenischen Prozess unter der Bezeichnung "Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" formuliert worden ist, sei eine theologische Kernkompetenz, meint Hubert Zurkinden, Theologe, Generalsekretär der Grünen der Schweiz und Nationalratskandidat im Kanton Freiburg. Besondere Kompetenzen hätten Theologen aber auch in ethischen und religionspolitischen Fragen.

Zentrale Herausforderungen der nächsten Jahre

Welches sind in den Augen von Theologen die zentralen gesellschaftlichen, sozialen, politischen Fragen, die in den nächsten Jahren auf die Schweiz zukommen? Umweltfragen stünden an erster Stelle, meint Markus Arnold. Wichtige Weichen dürften seines Erachtens auch im bioethischen Bereich - etwa bei der Präimplantationsdiagnostik - gestellt werden. Für Markus Ries stehen an erster Stelle alle jene Herausforderungen, die sich aus der Bevölkerungsentwicklung ergeben: Gesundheit, Altersvorsorge, Integration oder Chancengleichheit.

Dorothea Loosli hält den Umgang mit dem Klimawandel und seinen Folgen für zentral. Sie gibt zu bedenken: "Es sind ja nicht die Technik, der Fortschritt und das Wachstum das Problem. Es ist die Masslosigkeit, mit der die Wirtschaft betrieben wird - heute eine Tretmühle der kurzlebigen Massenprodukte mit hohem Energieverbrauch." Gelinge es jedoch, den Schritt von der Masslosigkeit zum Masshalten zu tun und das vorhandene Wissen und Können zugunsten des Klimas einsetzen, so lasse sich der Klimawandel bremsen.

Generationenvertrag und Wohlstandsgefälle

Jeanine Kosch hält die Frage der Gesundheitspolitik für innenpolitisch zentral: "Es darf keine Zweiklassenmedizin geben. Nicht alles, was wir können, sollen wir auch dürfen." Als wichtigste soziale Frage betrachtet sie den "Generationenvertrag", etwa im Bereich der Lehrstellen oder des Rentenalters. Wichtig für Hubert Zurkinden sind nicht nur Fragen um Geburt und Tod und die Gentechnologie, sondern auch solche der Umweltpolitik, der Sozialpolitik oder der internationalen Politik. Urs Bernhardsgrütter weist neben der globalen Klimaerwärmung auf das "gigantische Wohlstandsgefälle" hin, das zwischen Norden und Süden und innerhalb der meisten Staaten klaffe.

Wenig Unterschiede zwischen CVP- und grünen Kandidaten

Ob sie bei den Grünen politisieren oder bei der CVP, die Theologen weisen ein annähernd identisches politisches Profil aus, wie es sich für acht Themenbereiche auf der Internetseite smartvote.ch erstellen lässt. Es zeigt massive Zustimmung zu "mehr Umweltschutz" sowie das starke Votum für einen "ausgebauten Sozialstaat" und für "gesellschaftliche Liberalisierung". Umgekehrt finden unter den sechs befragten Theologinnen und Theologen "restriktive Migrationspolitik", "wirtschaftliche Liberalisierung" oder auch "restriktive Finanzpolitik" gar keine oder sehr wenig Unterstützung.

De Roche und Burri: andere Akzente

Durchaus ähnlich sieht das politische Profil des reformierten Pfarrers Daniel De Roche aus, der im Kanton Freiburg auf der Liste der Evangelischen Volkspartei (EVP) für den Nationalrat kandidiert: Er sagt Ja zu mehr Umweltschutz, zu einem ausgebauten Sozialstaat, aber auch zur aussenpolitischen Öffnung - und auch zu mehr "Law & Order".

Im Kanton Basel-Landschaft kandidiert der (freikirchliche) Theologe Markus Burri für die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU). Burri will "auf der Basis der zehn Gebote" politische Lösungen finden. Sein politisches Profil sieht gänzlich anders als dasjenige seiner Theologenkollegen aus: Er sagt vorbehaltlos Ja zu einer restriktiven Migrationspolitik, ist für deutlich mehr "Law & Order", für eine restriktive Finanzpolitik und für wirtschaftliche Liberalisierung.

Datum: 03.10.2007
Quelle: KIPA

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