Private Radio- und Fernsehstationen sollen für Alkohol, Politik und Religion werben dürfen

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Privatradio- und Privatfernsehstationen sollen für Bier und Wein werben dürfen. Überraschend bewilligt wurde auch die Werbung für Religion und Politik.
Für das Blaue Kreuz und die Evangelische Volkspartei der Schweiz (EVP) ist der Entscheid für Alkohol werben zu dürfen absolut unverständlich.

Unbestritten war das Werbeverbot für Tabak. Der Nationalrat hat jedoch das bestehende Alkoholwerbeverbot mit 120 zu 64 Stimmen gelockert. Vergeblich argumentierte die Linke mit dem Jugendschutz gegen die Alkoholwerbung und mit staatspolitischen Argumenten gegen Werbung für Politiker. Es gehe jetzt darum, argumentierten bürgerliche Votanten, den Privatsendern liberalere Regeln zu ermöglichen. Kommissionssprecher Peter Vollmer (SP/BE) warnte erfolglos davor, dass von der Lockerung des Werbeverbotes für Alkohol vor allem die ausländischen Sender profitieren würden. Denn deren Werbefenster unterstünden dem schweizerischen Recht. Laut Bundesrat Leuenberger geht es nur um ein Werbevolumen von 3 Millionen Franken.

Religion darf werben

Am meisten zu reden gab die Deregulierung der Werbung für Politik und Religion. Vertreter von Privatsendern zeigten sich über die neue Einnahmequelle erfreut, während ausgerechnet die Politiker skeptisch reagierten. Für solche Auftritte habe die Partei gar kein Geld, hiess es bei der SVP. Die SP befürchtet, dass finanziell schwache Regionalsender politisch beeinflusst werden könnten.

Mit knappen 97 zu 90 Stimmen kippte der Nationalrat auf Antrag von Peter Weigelt (FDP/SG) das Werbeverbot für politische Parteien, für Amtsträgerinnen und Amtsträger, für Abstimmungsthemen und religiöse Bekenntnisse aus dem Radio- und Fernsehgesetz (RTVG). Für die SRG soll der Bundesrat die Werberegeln festlegen.

Blaues Kreuz enttäuscht

Für das Blaue Kreuz der deutschen Schweiz ist dies ein Schritt in die falsche Richtung. Mit solchen Beschlüssen unterlaufe die Politik sämtliche Präventionsmassnahmen und unterstützt einmal mehr lediglich die Wirtschaft, nicht aber die Gesundheit der Bevölkerung, schreibt die Organisation.

Repräsentative Studien zeigten, dass das Rauschtrinken bei Jugendlichen in den letzten Jahren klar zugenommen habe, stellt das Blaue Kreuz fest. Andere Untersuchungen hätten gleichzeitig ergeben, dass in Ländern mit Werbeverboten der Einsteig in den Alkohol- und Tabakkonsum später erfolge. Insgesamt werde in diesen Ländern auch weniger konsumiert als in solchen mit liberalen Werbe-Bestimmungen. Dies zeige, dass der Beschluss des Nationalrates klar aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt sei, hält das Blaue Kreuz fest.

Trotz der Tatsache, dass die sozialen Folgekosten des Alkoholmissbrauchs laut einer Studie des Bundesamtes für Gesundheit den Staat jährlich 6,5 Milliarden Franken kosten, könne mit der Lockerung der Alkoholwerbung in privaten Radio- und Fernsehstationen vermehrt Werbung für alkoholische Getränke Werbung gemacht werden. Für das Blaue Kreuz stelle sich da die Frage, wie lange es wohl noch dauern werde, bis auch öffentlich für Heroin und Cannabis geworben werden dürfe.

Das Blaue Kreuz ist wie die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenproblemen (SFA) der Ansicht, dass Werbeverbote für Alkohol in Radio und Fernsehen ein nicht verhandelbares Gebot des Jugend- und Gesundheitsschutzes sind. Diese Verbote dürften deshalb nicht gesetzlich ausgehöhlt werden.

EVP: "Nationalrat bremst Jugendschutz"

Die am Mittwoch vom Nationalrat beschlossene Lockerung des Alkohol-Werbeverbotes ist für die Evangelische Volkspartei der Schweiz (EVP) absolut unverständlich. Offenbar störe es die Mehrheit des Nationalrates nicht, dass der Missbrauch der legalen Droge Alkohol bereits heute Schäden in Milliardenhöhe verursacht, schreibt die EVP in einer Stellungnahme.

Die Lockerung des Werbeverbots bei den Privatradios und -fernsehen werde insbesondere den Alkoholmissbrauch durch Jugendliche weiter fördern und die Durchsetzung des Jugendschutzes zusätzlich erschweren.

Dicke des Geldbeutels massgebend?

"Mit grosser Sorge" beurteilt die EVP auch die Aufhebung des Verbotes religiöser und politischer Werbung. Insbesondere der Einstieg potenter Interessengruppen in die politische Fernsehwerbung werde den Ausgang von Abstimmungs- und Wahlkämpfen vermehrt von der Dicke des Portemonnaies abhängig machen. Die EVP möchte jedenfalls nicht zu einer Fundraising-Organisation verkommen.

Ohne staatliche Finanzierung der Parteien werde eine umfassende Wahlkampagne kaum noch zu bewältigen sein. "Jene europäischen Länder, in denen bereits heute politische Fernsehwerbung erlaubt ist, kennen gleichzeitig auch eine finanzielle Unterstützung der politischen Parteien", schreibt die EVP. Und: "Es ist zu hoffen, dass der Nationalrat zur Besinnung kommt und die Gesetzesrevision in der Schlussabstimmung noch ablehnt."

Kommentar


Fritz Imhof

Nationalrat wirft Jugendschutz Knebel zwischen die Beine

Die vom Nationalrat beschlossene Lockerung des Alkoholwerbeverbotes in privaten elektronischen Medien droht zum Anschauungsbeispiel zu werden, was geschehen kann, solange es für neue Gesetze und Verordnungen keine Familienverträglichkeits-Prüfung gibt.

„Scheinbar stört es die Mehrheit des Nationalrates nicht, dass der Missbrauch der legalen Droge Alkohol bereits heute Schäden in Milliardenhöhe verursacht“, kommentiert die Evangelische Volkspartei (EVP) den Beschluss des Nationalrates, im neuen Radio- und Fernsehgesetz das Verbot der Alkoholwerbung zumindest für die privaten Radio- und Fernsehunternehmen aufzuheben. Dise Lockerung des Werbeverbots werde insbesondere den Alkoholmissbrauch durch Jugendliche weiter fördern und die Durchsetzung des Jugendschutzes zusätzlich erschweren, schreibt die EVP zu Recht. Sie weist auch das Argument zurück, dass sich mündige Bürger selbst entscheiden sollen, was sie konsumieren. Schliesslich sei gerade das Fernsehen jenes Medium, welches in grossem Masse von jugendlichen, unmündigen Menschen genutzt wird.

Die Aufhebung des Alkoholwerbeverbots wurde offenkundig von langer Hand vorbereitet. Schon vor einem Jahr hatte sich Ständerat Carlo Schmid für diese Aufhebung ausgesprochen. Seither hat die Lobby tüchtig gewirkt. Im Nationalrat und auch von den interessierten Medien wurde vor allem wirtschafts- und medienpolitisch argumentiert. Der Feldschlösschen-CEO beklagte sich in einem Interview, dass die Bierwerbung in ausländischen Sendern, welche in der Schweiz gesehen werden, den Verkauf von ausländischem Bier in der Schweiz steigere, während der hiesigen Bierwirtschaft die Hände gebunden seien.

Die wirtschafts- und medienpolitischen Argumente kontrastieren mit der Tatsache, dass die Öffentlichkeit noch unlängst mit grosser Besorgnis zur Kenntnis nahm, dass der Alkoholkonsum immer jüngere Jugendliche erreiche und zum Problem geworden sei, insbesondere auch durch die boomenden Alcopops. Nun werden die Preise für diese Getränke zwar fiskalisch angehoben, doch bereits stehen Getränke bereit, die von dieser Steuer nicht erfasst werden. Und nun dürfen die Produzenten dafür auch Werbung machen.

Hoffen die Befürworter der Lockerung, dass der relativ kleine Nutzen für die privaten elektronischen Medien immer noch höher sei, als der Schaden, den die Wergung anrichten kann? Jedenfalls erscheint der Beschluss reichlich kurzsichtig und nur auf kurzfristige wirtschaftliche Interessen ausgerichtet. Familien, die mit Alkohol- und andern Drogenproblemen ihrer Kinder kämpfen, müssen sich einmal mehr im Stich gelassen fühlen.

Fazit: Es dürfte noch mehr solcher Pannen geben, solange es nicht gelingt, eine Mehrheit unter den politischen Verantwortlichen zugunsten der Sorgen und Anliegen der Familien zu gewinnen. Eine Familienverträglichkeitsprüfung würde dieses Interesse institutionalisieren und damit sichern.

Quellen: Kipa/SSF/Livenet

Datum: 05.03.2004

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