Was ist religiöser Fundamentalismus?
„Wahrheitsanspruch, gepaart mit Gewalt, wird zum Fundamentalismus. Den gibt es in allen Religionen und Weltanschauungen", schreibt Thomas Schirrmacher in seinem neuen Buch «Fundamentalismus - Wenn Religion zur Gefahr wird».
Würde man alle Menschen als Fundamentalisten bezeichnen, die die Wahrheit zu kennen meinen, gäbe es auf dieser Welt mehr Fundamentalisten als andere, ist Thomas Schirrmacher überzeugt. Mit dem neuen Buch fordert der Professor für Religionssoziologie zu einer breiten Diskussion über den umstrittenen Begriff Fundamentalismus heraus. Schirrmacher ist zugleich Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz.
Neues Verständnis seit „9/11"
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 würden Fundamentalisten mit radikalen, gewaltbereiten und religiös motivierten Extremisten oder sogar Terroristen gleichgesetzt. Fundamentalismus sehe er etwa im Islam überall dort, wo man den Abfall vom Islam mit dem Tod, staatlichen Strafen, schweren bürgerlichen Konsequenzen oder mit dem Ausschluss aus der Familie bestrafe.
Der Begriff des Fundamentalismus
Den Begriff mit einem militant vertretenen Wahrheitsanspruch gleichzusetzen, findet Schirrmacher zu kurz gegriffen. Ausserdem versucht er in dem Buch aufzuzeigen, dass man Fundamentalismus nicht einfach am Verständnis von Heiligen Schriften festmachen könne. So kenne etwa der Katholizismus nicht die Schrift, sondern das Lehramt als oberstes Prinzip. Viele Religionen hätten zudem gar keine massgebenden Schriften, aber durchaus fundamentalistische Bewegungen, wie etwa der politische Hinduismus in Indien, der das Land von Moslems und Christen befreien wolle.Tipps gegen Fundamentalismus
Fundamentalismus könne aber nicht nur von einzelnen ausgehen, sondern auch von Staaten, wenn sie von entsprechenden Kräften kontrolliert würden. Der Theologe empfiehlt deshalb, jede Art von blindem Gehorsam anderen Menschen gegenüber zu verneinen, Autoritäten kritisch zu hinterfragen und bei „heiligen Texten" unterschiedliche Auslegungen zu konsultieren.Er empfiehlt aber auch, Andersdenkenden zuzuhören und das Gespräch zu suchen. Selbstkritik sei zudem der Beginn jeder Religiosität. Die Verknüpfung von Religion und Nationalismus sei ebenso zu vermeiden wie jede Art von Rassismus.
Ein Christ solle seinen Glauben und seine Sicht der Dinge mit guten Argumenten darlegen, ohne mit Zwang, Druck, Drohung oder gar Gewalt zu agieren. Und er solle die Religionsfreiheit bejahen.
Kurze Inhaltsübersicht
In seinem Buch geht der Autor zuerst auf die Entstehung des Begriffs Anfang des 20. Jahrhunderts ein, um danach die fünf bisherigen Phasen des Sprachgebrauchs aufzuzeigen. Auf seine persönliche Definition des Begriffs Fundamentalismus folgen konkrete Beispiele, auch für dessen Missbrauch. Im zweiten Teil des Buchs wird auf kenntnisreiche Weise die Grundsatzfrage «Schrift contra Moderne» erörtert.Thomas Schirrmacher: Fundamentalismus - Wenn Religion zur Gefahr wird
SCM Hänssler, ISBN 978-3-7751-5203-7
Wenn "islamische und christliche Fundamentalisten" verglichen werden
Datum: 12.02.2010