Filmtipp

Joan Baez: «We shall overcome»

«Wir werden/sollten überwinden» ist die deutsche Übersetzung des weltbekannten Gospels. Jetzt ist die Zeit des Überwindens: Es braucht das Überwinden von Gewohnheiten, sorgenvollen Gedanken und mühsamen Umständen. Und schlussendlich ist Ostern DAS historische «Ereignis der Überwindung» aller Zeiten: Das Leben hat den Tod überwunden.
Joan Baez (Bild: Wikimedia / CC BY-SA 4.0)
Joan Baez und Bob Dylan

Das Biopic zeigt eine Sängerin, die unweigerlich mit diesem Lied in Verbindung gebracht wird. Dahinter steckt weit mehr.

Im Januar feierte die legendäre Joan Baez bereits ihren 80.Geburtstag. Drei Etiketten zu ihrer Person nennt sie dem Journalisten in der lebhaften Doku «How sweet the sound» von 2014, wenn sie denn unbedingt müsse: Menschliches Wesen, Pazifistin und Folk-Sängerin.

2018 veröffentlichte sie noch das Album «Whistle Down the Wind» und tourte im selben Jahr sowie 2019 auf 118 ausverkauften Konzerten in Europa und den USA.

Der unterhaltsame und tiefgründige Film zeigt grosse Themen wie zugefallene Karrieren, Menschenrechte, geistiges Erbe und starke Berufungen.

Vom Vater die Klugheit, von der Mutter die Schönheit

«Meine Mutter war schöner und mein Vater klüger als alle anderen», erzählt Joan Baez von ihrer Herkunft, damals eine junge, stolze Tochter, aber nicht minder bewusst, dass sie wohl auch etwas von diesen Gaben mit auf den Weg bekommen hatte. 

Und sie fährt fort, wie alles, was passierte, ihr einfach zugefallen sei: Ihr Gitarrenspiel mit Finger-Picking war ausgezeichnet. Auch ein Bob Dylan, der im Film davon erzählt, ist begeistert davon. So möchte er auch spielen können. Doch vor allem ihre unverwechselbare, glasklare Stimme ist eine Ausnahme-Erscheinung und ihr Markenzeichen, das sie weit bringen sollte.

Treffende Texte und fordernder Folk

Dylans Musik war andererseits Joan Baez' Inspiration und Initialzündung, um sich selber ganz der Musik zu verschreiben. Es wurde ihr klar, dass Musik das Bindeglied zwischen ihr und der Welt sein würde; besonders auch durch die Botschaften und Geschichten, die sie damit vermitteln konnte.

So ergab das Eine das Andere und sie stand 1959 plötzlich beim Newport Folk-Festival vor 13'000 Menschen. Im Nu wurde sie zur «Folk-Queen». Joan Baez erschien sogar auf der Titelseite des Time Magazines und ihre ersten beiden Alben erreichten Gold-Status. Die Debut-Scheibe hiess schlicht «Joan Baez». Selber kannte sie sich in der Musik-Szene gar nicht aus, «ich wollte eben gemocht werden, wie allen anderen auch!», offenbart sie. Lieder, die mit drei oder vier Griffen zu spielen waren, machte sie sich zu eigen und war stark von Rhythm n Blues beeinflusst.

Hymnen von Freiheit und Glauben

Unter den vielen interpretierten Liedern und Eigenkompositionen hallt der Gospel «We shall overcome» am höchsten im Himmel der Folk-Hymnen. Dazu kommen bekannte Spirituals wie «Oh, Freedom» oder «Amazing Grace» genauso, wie das neuere «I believe in God» von Steve Earl. Mit «The Night They Drove Old Dixie Down» setzte sie einen weiteren Hit, der um die ganze Welt ging.

Dabei kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Protest-Songs mit ihren Botschaften das Wichtigste waren. Am glücklichsten sei sie, wenn Musik mit Politik zusammen treffe, oder eigentlich sei ihr dann das politische Anliegen doch wichtiger, beschreibt sie ihre Berufung auf den Punkt gebracht.

Sie habe gerade mal neun Minuten an der Uni verbracht, scherzt sie und setzt nach, dass tatsächlich nach sechs Wochen Schluss mit der Uni war. Der Erfolg gab ihr Recht, sie wurde selber zum Mittelpunkt des damaligen Folk-Booms.

Männer, Musen, Menschliches

Ein schillerndes Kapitel ist die Beziehung mit dem Musik-Poeten Bob Dylan. Sie hatten sich gegenseitig inspiriert, einander als Special Guest bei den eigenen Konzerten auf der Bühne und waren schliesslich auch ein Liebespaar. Obwohl sie Seelenverwandte waren, überlebte die Beziehung den gewaltigen Stress des Star-Rummels und persönliche Erwartungen nicht. Das Showbusiness kann gnadenlos sein.

Als zweite grosse Männerfigur trat David Harris in Joan Baez' Leben. Er war auch Aktivist und verbrachte mehrmals Zeiten im Gefängnis. So wurde 1969 auch ihr Sohn Gabriel Earl geboren, während der Vater im Gefängnis sass. Diese Spannung von Distanz und Nähe war zu viel für die Ehe und sie endete in der Scheidung.

Daraufhin ergab sich keine dauerhafte Liebesbeziehung mehr, trotz dem Familienherzen, das in ihrer Brust schlägt. Baez lebte mit ihrem Sohn Gabriel, der Schwiegertochter und Enkelin und ihrer eigenen Mutter, bis zu deren Tod, zusammen.

Es sei einfacher, mit 10'000 Menschen eine Beziehung zu haben, als mit einem Menschen eine tiefgründige Verbindung, so eine Aussage der lebenserfahrenen Sängerin.

Black Lives' Mutter

Die Doku vertieft ihren Einsatz für Menschenrechte und die Wurzeln dieses Anliegens. Die Eltern wechselten in ihrer Kindheit von einer Methodistenkirche zu den friedliebenden Quäkern. Davon erzählt Joan Baez: «Und man sieht es als selbstverständlich an, dass Menschenleben und Leben überhaupt unantastbar ist.»

Sie war unter anderem mit Martin Luther King befreundet und an zahlreichen Aktionen beteiligt. Er scherzte einmal, er hätte in dieser Rede das Wort «Gewalt-Freiheit» öfters in die Rede eingestreut, weil dies Schwester Joan so liebe. Mit ihrem Herzen für Minderheiten musste sie selber viele Widrigkeiten erleben und wurde ein berühmter, weiblicher Kopf der Bürgerrechtsbewegung.

Während des Vietnamkriegs war sie nach Nordvietnam geflogen, um die Kriegssituation vor Ort zu sehen und geriet prompt in einen Bombenhagel. Sie mussten elf Tage im Bunker verbringen. Dort wurde die Botschaft und das Engagement für den Frieden noch verstärkt und realer als je zuvor. Sie erwähnte, wie sterblich der Mensch doch sei und wie dann plötzlich alle zu Gott rufen, selbst Atheisten.

Geist der Quäker auch in Sarajevo

Wie klar sie für ihre Werte einstand, zeigte sich auch darin, dass sie ihr Leben lang nichts mit Rauschmitteln zu tun haben wollte. Dies machte sie in der 68-Bewegung doch zu einem etwas unbequemen Gast in der Drogenrunde.

Die «Rolling Thunder Tour» mit Bob Dylan brachte dann mal eine ausgelassene, leichtfüssige Seite von Joan Baez zum Vorschein. Für sie war es kreatives Rumalbern, wobei sie mit der Zeit ausrasten würde, und ergänzte, sie müsste dann bald wieder etwas Ernsthaftes machen.

In einem Schlusskapitel des Films fuhr sie 1992 auf Anfrage nach Sarajevo und gab mitten im Kriegsgebiet ein Konzert. Zehn Minuten vor Filmschluss, eine herzberührende Begegnung: Ein Cellist spielt auf der Strasse der kriegsversehrten Stadt. Sie umarmen sich und Baez setzt sich auf seinen Stuhl und beginnt unvermittelt, «Amazing Grace» zu singen. Eine Stimme der Hoffnung ohne Konzept, nur für die Menschen im zerbombten Ort mit zerbombten Gedanken.

Und ganz im Geiste des Friedens ist die letzte Gesangszeile des Films: «…will lay down these swords forever, in Jerusalem», …werden die Schwerter für immer niederlegen, in Jerusalem.

Das Biopic zu Joan Baez:

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Datum: 01.04.2021
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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