«Finanzkrise belastet die Seele»

Horst-Eberhard Richter

Düsseldorf. Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter beobachtet als Folge der Finanzkrise Anzeichen von versteckten seelischen Störungen in der Gesellschaft. "Ärzte und Psychotherapeuten begegnen gehäuft Menschen, bei denen Unbehagen und Angst eher nach innen schlagen", sagte er dem "Handelsblatt".

"Chronische Müdigkeit, Erschöpfbarkeit und Schlafstörungen beklagen die Menschen", sagte Richter. Sie suchten zunehmend Medikamente und psychotherapeutische Gespräche. Richter kritisierte zudem einen Mangel an Schamgefühl bei den für die Krise Verantwortlichen. «Ich hoffe, dass diese Gefühl bald wieder gefragt sein wird."

Die Menschen seien verwirrt, weil sie in der Krise keinen äusseren Feind ausmachen könnten, «keine Terroristen, keine Schurkenstaaten, keine der üblichen Verdächtigen wie Gauner oder Gewalttäter. "Als die anonymen Schuldigen entpuppen sich ganz normale Leute aus der renommierten Bankenwelt." Das mache zunächst ohnmächtig und ratlos.

Die American Psychological Association hat Unterlagen veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass sich durch die Finanzkrise 75 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen gestresst fühlen. Der höhere Prozentsatz der gestressten Frauen wird darauf zurückgeführt, dass Frauen oft für die Verwaltung der heimischen Finanzen zuständig sind.

Finanzkrise macht auch viele britische Banker krank. Facharztpraxen berichten ähnliches. So kommen immer mehr hochbezahlte Angestellte in die Sprechstunden, weil sie unter Schlafstörungen, Angstzuständen, Depressionen oder Suchterkrankungen leiden. Arbeitsmediziner sehen einen kausalen Zusammenhang zwischen den beruflichen Unsicherheiten und dem Griff zur Flasche oder zu Aufputschmitteln. Wie die Londoner Zeitung "Financial Times" berichtete, nehmen grosse Bank- und Brokerhäuser die arbeitsmedizinische und psychiatrische Versorgung ihrer Mitarbeiter inzwischen sehr ernst. Fast alle grossen Finanzhäuser bieten gestressten Mitarbeitern spezielle Programme an, um mit ihren psychischen Belastungen besser umzugehen.

Studien deuten darauf hin, dass 50 bis 60 Prozent aller verlorenen Arbeitstage mit Stressproblemen in Zusammenhang stehen. Im Hinblick auf die derzeitige wirtschaftliche Situation werden diese Zahlen sicherlich noch ansteigen, da der Druck, den die Mitarbeiter wahrnehmen, immer grösser wird.

Quellen: epd/Handelsblatt/Financial Times/Livenet

Datum: 19.03.2009

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