Hoffnung für das Land am Rand
«Hauke, magst du unser Projektteam begleiten und für ein paar Tage mit nach Moldau kommen?» Mit dieser Anfrage begann für mich eine interessante Kurzreise. Ja, ich wollte, und ich konnte es mir irgendwie einrichten. Ich war bereits in Osteuropa, aber Moldau war für mich bis dahin ein blinder Fleck. Und damit war ich nicht allein, stellte ich schnell fest, denn für die meisten Leute ist es «irgendwo da drüben», während sie vage in den Osten zeigen.
Dieses Ungenaue ist typisch, wenn es um das kleine Land geht. Wie heisst es eigentlich richtig? Von vielen wird es Moldawien genannt, in Deutschland inzwischen Moldau, in der Schweiz Republik Moldova. Es hat Dreiviertel der Fläche der Schweiz, aber mit 2,4 Millionen Einwohnern nur gut ein Viertel der Bevölkerung. Wer sich im Internet über Moldau informiert, findet ein paar Sachinfos, Reisewarnungen (die meist das abgetrennte Gebiet Transnistrien betreffen) und ein paar bemühte Versuche, die Region als Reiseland schmackhaft zu machen. Ich wollte allerdings keine alten Klöster besuchen, sondern Gemeinde vor Ort sehen und vor allem Menschen kennenlernen.
Spielball der Nachbarn
Die heutige Republik Moldau war im ausgehenden Mittelalter Teil des grossen Fürstentums Moldau, später von Bessarabien. Wirklich unabhängig war sie nie. Jahrhundertelang war sie Pufferregion zwischen den Grossmächten. Diese haben inzwischen ihre Namen geändert, doch an der Lage «immer dazwischen» hat sich für Moldau wenig geändert. Als die Moldauische Sowjetrepublik 1991 unabhängig wurde, war sie bereits ein geteiltes Land: Im Grenzgebiet zur Ukraine spaltete sich Transnistrien ab. Hier nimmt Russland starken Einfluss, das übrige Land orientiert sich eher Richtung Rumänien bzw. Europa. Nach dem Ausbrechen des Ukrainekriegs 2022 stellte Moldau einen Mitgliedsantrag in der EU. Was sich aus europäischer Perspektive als grosse Unsicherheit darstellt – immer wieder berichten Medien von einer möglichen russischen Invasion –, ist für die Moldauer jahrhundertelanger Alltag. Aber es hat konkrete Auswirkungen auf die Menschen, denn kaum jemand investiert im Land. Arbeitsplätze sind rar. Moldau ist das Armenhaus Europas.
Spannung zwischen Schönheit und Armut
Wenn ich durchs Land fahre, dann sehe ich liebliche Landschaften mit sanften Hügeln, aber auch Bauruinen aus der Sowjetzeit und viele Wohnhäuser, die kurz vor dem Zerfallen sind. Ich treffe Menschen, die ein gutes Auskommen haben und einen Mittelklassewagen fahren, aber auch solche, die von 1500 Leu (das sind 75 Euro) Rente monatlich leben müssten und bestenfalls einen Pferdekarren haben. Strom haben die meisten; Wasser ist oft nur am nächsten Ziehbrunnen zu bekommen; Kleidung und Essen stellen eine ständige Herausforderung dar.
Als Projektteam besuchten wir arme Familien, die von einer örtlichen Pfingstgemeinde betreut werden: Maria, die als Oma für ihre Enkelkinder sorgt, weil Tochter und Schwiegersohn monatelang für einen Hungerlohn in Polen in der Fleischindustrie arbeiten. Dorina, deren Mann gerade an Krebs stirbt, und die mit tausend Zukunftsfragen kämpfen müsste, wenn sie gerade die Kraft dafür hätte. Noch eine Maria, deren Mann nur ab und zu Arbeit hat, und die jeden Liter Wasser aus einem zwei Kilometer entfernten Brunnen holen muss. Sie und viele andere unterstreichen, dass Glück nicht direkt vom Portemonnaie abhängt und Glaube auch dort wächst, wo das Leben schwierig ist. Gleichzeitig merke ich wieder einmal, wie privilegiert ich lebe, auch wenn ich im Westen nicht gerade zu den Reichen gehöre. Und ich freue mich, dass die Familie der Christen grenzübergreifend füreinander da sein kann.
Hoffnung durchbricht den Kreislauf
Das gesamte Land steht am Rand. Zahlreiche Menschen in Not ebenfalls. Und nicht jedem Problem kann man (können wir) begegnen. Und trotzdem lassen sich Umstände verändern. Domnina ist ein Beispiel dafür. Sie kam in einer Alkoholikerfamilie zur Welt und wuchs im Heim bzw. bei Pflegefamilien auf. Sie heiratete früh – einen gewalttätigen Mann, mit dem sie sechs Kinder bekam. Als das siebte unterwegs war, fasste sie den Mut, zu gehen, weil ihre Lage immer schwieriger wurde. Die Pfingstgemeinde vor Ort half ihr dabei. Sie fand ein Dach über dem Kopf für den Übergang und ein Zuhause in der Gemeinde. Durch deren Partnerschaft mit dem Hilfswerk GAiN (Global Aid Network) und THAT’S WHYnheim erhält sie in wenigen Wochen ein Containerhaus, in dem sie mit ihren Kindern gut leben kann. Das wird nicht alle ihre Probleme lösen, aber es ist ein grosser Schritt in eine gute Richtung.
Für mich persönlich zeigt es die Spannung, in der solche Hilfe geschieht: Man hilft einer Familie und daneben gibt es Tausende, die ebenfalls Unterstützung benötigen würden. Aber dieser einen Familie hilft man. Und es ist Hilfe, die ankommt! Denn Domninas Kinder werden in einem anderen Umfeld aufwachsen. Sie erleben Veränderung, erfahren Liebe in ihrer Familie und der Gemeinde. Sie bekommen Perspektive für ihre Zukunft. Eigentlich hatten sie keine Chance und ihr Weg war bereits vorgezeichnet, doch Hoffnung durchbricht diesen Kreislauf.
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Datum: 23.07.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet