EKD wählt Nikolaus Schneider
Der sächsische Landesbischof Jochen Bohl wird sein Stellvertreter. Mit der Nachwahl von zwei Ratsmitgliedern ist die Führung der EKD nach dem Rücktritt Margot Kässmanns vom Ratsvorsitz im Februar wieder komplett.
Schneider erhielt im ersten Wahlgang 135 von 143 gültigen Stimmen und damit die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Er hatte das Amt von Kässmann bereits kommissarisch übernommen, die nach einer Alkoholfahrt am Steuer ihres Dienstwagens zurückgetreten war. Der Ratsvorsitzende ist er der oberste Repräsentant von fast 25 Millionen Protestanten in Deutschland.
Probezeit beendet
«Es ist ein gutes Gefühl, dass die Probezeit jetzt zu Ende ist», sagte Schneider nach seiner Wahl. Er sei nun mit dem nötigen Mandat ausgestattet, um öffentlich auftreten zu können. Das Wahlergebnis stärke ihn. Seit 2003 leitet Schneider als Präses die Evangelische Kirche im Rheinland. Während seine Amtszeit dort bereits 2013 endet, wird er den EKD-Ratsvorsitz noch bis 2015 ausüben.
Politisch aktiv werden
Kurz nach seiner Wahl bekräftigte Schneider die Kritik der evangelischen Kirche an der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Darüber wolle er mit der Bundesregierung ins Gespräch kommen. Allerdings sei er nur verhalten optimistisch, dass die schwarz-gelbe Koalition ihre Haltung noch einmal ändern werde.
Sein Stellvertreter wurde Jochen Bohl. Er erhielt im ersten Wahlgang 113 von 141 gültigen Stimmen und damit ebenfalls die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Seit 2004 ist der 60-Jährige Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Davor war er sächsischer Diakonie-Chef.
«Mann mit Herz»
Die Präses der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckardt, würdigte Schneider als «Mann von grosser Herzenswärme und Klarheit». Er sei in der Sprache der Theologen ebenso zu Hause wie in der Sprache der Arbeiter. Bohls Wahl sei hinsichtlich der Verbindung von Ost und West wichtig, sagte Göring-Eckardt. «Durch seine Fähigkeit, quer zu denken», habe er mitgeholfen, Positionen zu schärfen.
Neue Vorstandsmitglieder
Die Synode wählte ausserdem Edeltraud Glänzer, Hauptvorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), und die Mainzer Theologieprofessorin Christiane Tietz in den Rat der EKD. Von 144 gültigen Stimmen erhielt Glänzer 110. Tietz kam auf 135 Stimmen. Damit erreichten beide Kandidatinnen die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit.
Nachdem bei der Wahl vor einem Jahr im Ulm ein Platz im Leitungsgremium unbesetzt geblieben und die hannoversche Bischöfin Kässmann nach vier Monaten als Ratsvorsitzende zurückgetreten war, waren zwei Sitze in den vergangenen Monaten vakant. Dem EKD-Rat, eine Art Regierung, gehören 15 Mitglieder an, von denen 14 von Synode und Kirchenkonferenz gewählt werden. Die Grünen-Politikerin Göring-Eckardt, die als Präses die Synode leitet, gehört dem Rat kraft Amt an.
Kollegialer Führungsstil
Vielen gilt der 63-jährige rheinische Theologe als Idealbesetzung für das Amt des Ratsvorsitzenden: Er soll die Kirche nach den Aufregungen um seine Amtsvorgängerin Margot Kässmann in ein ruhiges Fahrwasser geleiten und ebenso verlässlich wie umsichtig wichtige Entwicklungen voranbringen. Nach dem intellektuell brillierenden Bischof Wolfgang Huber und der charismatischen Bischöfin Kässmann will Schneider als zwölfter Ratsvorsitzender der EKD einen kollegialen Führungsstil pflegen.
Offen für soziale Anliegen
Renommee und eine Präsenz in den Medien erarbeitete sich der bodenständige Theologe in den vergangenen Jahren vor allem mit sozialpolitischen Äusserungen. Das Thema ist dem früheren Wirtschaftsstudenten, der aus einer Duisburger Stahlarbeiterfamilie stammt und von der 68er-Bewegung geprägt wurde, auf den Leib geschnitten. Bis heute treibt den früheren Diakoniepfarrer die Sorge um, die sozial Schwächeren könnten unter die Räder kommen.
«Vorposten Gottes in der Welt und nahe bei den Menschen» muss die Kirche nach Schneiders Worten sein. Diese Botschaft vermittelt er glaubwürdig und ohne akademisches Gehabe. In vielen Leitungsämtern erwies sich Schneider als Mannschaftsspieler, dem es scheinbar mühelos gelingt, seine Gesprächspartner für sich einzunehmen. Das könnte ihm auch bei dem Ziel helfen, kircheninterne Reformen an der Basis besser zu vermitteln.
Kritisch und klar
Bei aller menschlichen Herzlichkeit formuliert der erfahrene Theologe in der Sache kritisch und klar. So beklagt er offen ein «Schneckentempo» bei der Ökumene, warnt - bei allem Respekt für Muslime - vor einer «imperialen» Architektur beim Bau der künftigen Kölner Grossmoschee, geisselt eine «egoistische Abzockermentalität» unter Managern und sieht in der Finanzkrise auch eine Folge von kapitalistischem Grössenwahn.
Zum Umgang der evangelischen Kirche mit Missbrauch lautet seine Linie: «Null Toleranz, klare Opferorientierung, jeder Fall wird angezeigt.» Auch zu Themen wie Atomstreit, Integration, Sonntagsschutz oder «Stuttgart 21» findet Schneider deutliche Worte.
Fussballbegeistert
Mit dem Plädoyer für ein neues Sozialwort der beiden grossen Kirchen bleibt der fussballbegeisterte Theologe seiner linksliberalen Haltung treu. Schon als Pfarrer und Superintendent in Duisburg und Moers stand Schneider er für eine sozial engagierte Kirche, die sich von der «Leidenschaft Gottes für die Schwachen» leiten lässt, und demonstrierte mit den Bergleuten und Stahlkochern für den Erhalt ihrer Zechen und Werke.
Geboren wurde Schneider am 3. September 1947 in Duisburg. Nach dem Theologie-Studium in Wuppertal, Göttingen und Münster wurde er 1976 Gemeindepfarrer in Duisburg-Rheinhausen, später Diakoniepfarrer und Superintendent im Kirchenkreis Moers. Er wechselte 1997 ins Düsseldorfer Landeskirchenamt und wurde 2003 als Nachfolger von Manfred Kock zum Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland gewählt.
Datum: 09.11.2010
Quelle: Epd