Im Kino

Lass uns reden – über Abtreibung

Keine Frau sollte wegen einer Abtreibung stigmatisiert werden – das fordert ein Film, der derzeit in den österreichischen Kinos zu sehen ist. Die Initiatorin ist Christin.
Aufnahmen des Films «Lass uns reden» (Bild: lassunsreden.film)
Flyer zum Film «Lass uns reden» (Bild: lassunsreden.film)

Ende Juni wird der Deutsche Bundestag wohl das erste Mal seit 1974 eine Liberalisierung der Gesetzgebung bei Schwangerschaftsabbrüchen beschliessen. Das sogenannte Werbeverbot soll aufgehoben werden. Österreich betrifft das freilich nicht, und dennoch ist das Thema auch dort gerade in vieler Munde. Denn in den Kinos läuft derzeit ein Film, der einen offeneren Umgang mit sogenannten Konfliktschwangerschaften fordert. Unter den Machern sind auch viele Christen.

Keine Standardantworten

In «Lass uns reden» lässt Regisseur Tamás Kiss fünf Frauen ihre Geschichte erzählen, die eines gemeinsam haben: Sie haben einst eine Schwangerschaft beenden lassen. Die Gründe dafür sind vielfältig – eine vorangegangene Krankheit, Stress, die Trennung vom Partner oder das Gefühl, ein Kind passe nicht ins Leben. Schon zu Beginn dieses Dokumentarfilms wird dem Zuschauer klar, dass es beim Thema Abtreibung keine Standardwege und auf die Fragen dazu keine allgemeingültigen Antworten gibt.

Da ist etwa Christine, die nach zwei Kindern kein drittes wollte und sich für einen Abbruch entschied – zu Zeiten, als dieser in Österreich noch gänzlich illegal war. Mit verbundenen Augen musste sie für den Eingriff eine geheime Wohnung betreten, in der niemand mit ihr sprach, damit auch niemand bei der Polizei erkannt werden könnte. Nach der Narkose erwachte sie auf einer Couch – ganz allein. Jahre nach diesem Erlebnis beginnen Alpträume sie zu quälen.

Anna hingegen begab sich in eine Klinik, erlebte die Abtreibung als wenig dramatisch und machte danach weiter wie immer.

Ganz anders Petra, die ihre Gefühle unmittelbar nach dem Abbruch beschreibt: «Das war mein Kind und ich habe es getötet.»

Oder Ann-Christin, die während ihres späteren Studiums psychologische Betreuung in Anspruch nehmen musste, um das Erlebte zu verarbeiten. Sie habe sich – auch aufgrund ihrer christlichen Prägung – immer schuldig gefühlt. Vor sich selbst und vor Gott.

Offen und ehrlich über das Thema sprechen

Initiatorin des Filmprojekts ist die Christin Sonja Horswell, die mit ihrer Organisation «Save One Europe» dafür wirbt, dass Frauen, die nach einem Schwangerschaftsabbruch psychisch beeinträchtigt sind, Hilfe erhalten. Mit ihrem Anliegen wendet sie sich im Besonderen an Kirchen. Der Film selbst thematisiert den Glauben eher beiläufig, etwa wenn die psychologische Beraterin Valerie De Agostini zu Wort kommt und darüber berichtet, wie familiär geprägte Werte das Empfinden nach einem Abbruch beeinflussen – oder eben auch ein christlicher Glaube. Wer mit einer Abtreibung gegen die ihm innewohnenden Vorstellungen verstosse, leide danach häufiger unter posttraumatischen Belastungsstörungen als Menschen, deren Umfeld und Prägung den Abbruch nicht als problematisch empfänden.

Horswells Anliegen ist es, dass beide Arten von Menschen offen und ehrlich über das Thema sprechen. Derzeit, so die These des Films, würden Abtreibungen zwar stattfinden, aber gänzlich totgeschwiegen. Frauen erhielten danach keine Hilfe, vorher keine adäquate Aufklärung und Männer, deren Kinder abgetrieben wurden, hätten noch weniger Anlaufstellen. Und das, obwohl auch sie häufig unter dem Verlust des eigenen Kindes litten. Davon berichten im Film etwa Timothy und Peter. Letzterer fand schliesslich Zuflucht in einem Kloster, das ihn in einer speziell eingerichteten «Grotte der Ungeborenen» eine Gedenktafel für sein Kind anbringen liess.

Kein typisch frommer Film

«Lass uns reden» ist kein typisch frommer Film über das Thema Abtreibung, und das ist seine Stärke. Zwar ist wahrnehmbar, dass die Macher keine Befürworter einer liberalen Abtreibungspolitik sind. Deutlich wird das vor allem durch die vielen Erfahrungsberichte traumarisierter Frauen und Männer. Doch er wagt es, auch die andere Seite zu zeigen und eben nicht dafür zu werben, dass die Gesetze strikter oder das gesellschaftliche Klima verurteilender wird. Stattdessen will Horswell genau das, was der Titel bereits verrät: einen Dialog initiieren, Tabus brechen und bessere Aufklärung für Frauen in Konfliktsituationen.

Christine soll über ihre Alpträume sprechen können, ohne dass Feministinnen sie dafür verurteilen. Und Anna darüber, dass sie ihre Entscheidung im Nachhinein als richtig empfindet, ohne dass Konservative dafür auf sie herabschauen. Oder wie Poetry Slamerin Adina Wilcke im Film in wohlgeformten Zeilen vorträgt: «'Lass uns darüber schweigen' ist keine Option, die langfristig besteht.»

«Lass uns reden» läuft derzeit in ausgewählten österreichischen Kinos und wird ab Ende Juni auf Vimeo gegen eine Gebühr ausleihbar sein. Weitere Infos unter lassunsreden.film.

Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin.

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Datum: 14.06.2022
Autor: Anna Lutz
Quelle: PRO Medienmagazin

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